„Into the Ice“ – Das Eis schmilzt
Ein spannendes Thema macht noch keinen spannenden Film
Die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt. Soviel ist klar, nur: Wie schnell steigt er? Um diese Frage streiten Wissenschaftler und Politiker seit langem, genau zu beantworten ist die Frage nicht, aber es gibt Möglichkeiten, sich einer Antwort anzunähern. Drei Wissenschaftler, die dies versuchen, stehen im Mittelpunkt von Lars Henrik Ostenfelds Dokumentarfilm „Into the Ice“, zwei Glaziologen und eine Paläoklimatologin, die auf Grönland forschen.
Dort werden sie von Ostenfeld besucht, der seinen Film wie eine Expedition anlegt, einen betont subjektiven Voice-Over-Kommentar verwendet, der vielleicht nicht zufällig an die Filme von Werner Herzog erinnert und in der deutschen Fassung seltsamerweise von Campino gesprochen wird, dem Sänger der Toten Hosen.
Einer der Wissenschaftler, der Amerikaner Jason Box, untersucht, inwieweit zunehmender Schneefall das durch Schmelzen verlorene Eis ersetzen kann. Die Dänin Dorthe Dahl-Jensen leitet ein aufwändiges Forschungsprojekt, das Bohrstäbe tief in das Eis gräbt, um Anhand der Sedimentablagerungen Informationen über die Veränderung des Eises in den letzten einhunderttausend Jahren zu erhalten. Und schließlich der Brite Alan Hubbard, der den visuell aufregendsten Part einnimmt: Er seilt sich in ein Loch im Boden ab, eine sogenannte Gletschermühle, die fast 180 Meter tief in die Erde ragt. Am Boden dieses Lochs untersucht er das Eis und kann feststellen, wie viel Schmelzwasser sich dort befindet, was wiederum Rückschlüsse auf die Geschwindigkeit möglich macht, mit der weltweit die Gletscher schrumpfen und damit der Meeresspiegel steigt.
Wichtige Themen schneidet Ostenfeld an, lebenswichtige Themen sogar, denn noch immer gibt es viel zu viele Menschen, die den Klimawandel in Frage stellen, die nicht erkannt haben, dass die Zeit drängt. Doch werden sich solche Skeptiker einen Film wie „Into the Ice“ anschauen und daraufhin im besten Fall ihre Ansichten überdenken? Oder bestätigt „Into the Ice“ nur Ansichten, die man ohnehin schon teilt? Letzteres steht zu befürchten und sorgt dafür, dass Lars Henrik Ostenfeld mit seinem Dokumentarfilm offene Türen einrennt.
Schade ist nun, dass es Osterfeld nicht gelingt, mehr aus seinem Thema zu machen, die ungewöhnliche und oft außergewöhnliche Arbeit seiner drei Protagonisten mehr zu würdigen. Gerade wenn es um das halsbrecherische Abseilen in die Gletschermühle geht, wünscht man sich, dass sich ein Regisseur wie Werner Herzog dem Thema angenommen hätte. Vor 15 Jahren hatte Herzog in „Begegnungen am Ende der Welt“ gezeigt, wie mit unbändiger Neugier und Gespür für Menschen und ihre Obsessionen auch einem bekannten Thema – in diesem Fall Forscher in der Antarktis – etwas neues, ungewöhnliches abgewonnen werden kann.
Lars Henrik Osterfelds „Into the Ice“ dagegen bleibt ein konventioneller Dokumentarfilm, dem es nur in Ansätzen gelingt, die erzählerischen und vor allem visuellen Möglichkeiten seines Sujets auszunutzen.
Into the Ice • Dänemark 2022 • Regie: Lars Henrik Ostenfeld • 85 Minuten • ab 15. September im Kino
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