„Das Ministerium der Zeit“ von Kaliane Bradley
Ein Roman zwischen Zeitreise-Science-Fiction, Polar-Expedition und Romance
Für ihre Kurzgeschichten erhielt die britisch-kambodschanische Autorin Kaliane Bradley (im Shop) bereits mehrere Preise. „Das Ministerium der Zeit“ (im Shop) ist ihr erster Roman, erschien in über zwei Dutzend Ländern und stand 2024 im Original direkt auf Barack Obamas berühmt-einflussreicher Sommerleseliste. Mit ihrer süffigen, fluffigen und absolut mainstreamtauglichen Zeitreisegeschichte zeigt Bradley nicht zuletzt, dass für alle zugängliche Science-Fiction auch ohne dystopisches Setting die Romance-Zielgruppe mühelos mitnehmen kann.
Bradleys Ich-Erzählern arbeitet in der Gegenwart als Agentin für das titelgebende Ministerium im britischen Regierungsapparat. Dort testet man eine neuentdeckte Zeitreise-Technologie, indem man mehrere Personen aus der Vergangenheit im Augenblick ihres historischen Sterbens mittels Zeitportal ins Hier und Heute holt. Bradleys namenlose Protagonistin ist eine so genannte Brücke, die einem zeitreisenden Expat nach Quarantäne und Tests bei der Akklimatisierung beistehen soll. Daher lebt sie in einem vom Ministerium bereitgestellten Vorstadt-Häuschen mit Commander Graham Gore zusammen, der 1847 Teil der fatalen Franklin-Polar-Expedition um die Erebus und die Terror gewesen ist, wie nicht nur Fans von Dan Simmons (im Shop) wissen.
Die Ministeriumangestellte bemüht sich sehr um den mindestens so altmodischen wie charmanten Commander – und bemerkt früh, dass sie sich hoffnungslos in ihn verliebt hat. Während Bradley ihre Geschichte über historische und moderne Menschen in einem zeitgenössischen London also einerseits nutzt, um Themen wie Identität, Wurzeln, Familie, Kolonialismus, Migration, Rassismus, Krieg, Gleichberechtigung, Assimilation und Sexismus zu betrachten, inszeniert sie andererseits auch eine klassische, langsam köchelnde Liebesgeschichte wie aus dem Lehrbuch für romantische Stoffe.
Die Science-Fiction in „Das Ministerium der Zeit“ muss derweil einfach nur funktionieren, Hard-SF gehört nie zum Konzept, doch das kennt man ja durchaus und das stört kein bisschen. Darüber hinaus wirft Bradley am Ende ihres Romans einen kurzen, wenngleich griffigen Blick in die finstere Zukunft der Welt und der Menschheit. Ansonsten konzentriert sie sich in sympathischen, kurzen Leseabschnitten auf die Romanze zwischen ihrer Ich-Erzählerin und dem Commander sowie auf eine folgenschwere Verschwörung und einiges an Spionage-Action um das Zeitreise-Experiment. Rückblenden behandeln indes die schiefgelaufene Franklin-Expedition im ewigen Eis.
Das derzeit allgegenwärtige, am laufenden Band Bestseller produzierende Romance-Genre folgt einer langen Tradition literarischer Liebesgeschichten. Kaliane Bradley macht sich Tradition wie Trend zunutze – die Romantik steht „Das Ministerium der Zeit“ besser zu Gesicht, als skeptische Fans anderer literarischer Bubbles erwarten mögen. Spice und Sexszenen steigern sich im Verlauf des Romans zwar wie zu erwarten, aber was gäbe es dagegen schon zu sagen? Hin und wieder geht es mit Bradley in den romantischen bis erotischen Szenen jedoch schon durch, was zu ein paar wirklich merkwürdigen Phrasen führt.
Bemerkenswerterweise bleibt „Das Ministerium der Zeit“ trotzdem immer auf Kurs – und immer ein höchst unterhaltsamer, wunderbar leicht zu konsumierender Pageturner. Ein Zeitreiseroman, den man richtig gerne liest, dessen Charaktere, Ton, Stimmung und Plot man mag, dem man bereitwillig ein paar liebestolle Seltsamkeiten verzeiht, über den man unbedingt reden will, den man definitiv weiterempfiehlt – und von dem es einen wundern würde, wenn es allein bei der Adaption fürs Radio durch die BBC bleiben würde.
Kaliane Bradley: Das Ministerium der Zeit • Roman • Aus dem Englischen von Sophie Zeitz • Penguin, München 2025 • 384 Seiten • Erhältlich als Hardcover, eBook und Hörbuch Download • Preis des Hardcovers: 24,00 € • im Shop
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.
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