„Electric Child“ - Lebendig ist hier nur das todkranke Baby
Zwei Stunden lang irgendwas mit KI
Es handelt sich um eine schweizer-deutsche-philippinische Co-Produktion, inszeniert und geschrieben von einem Schweizer Regisseur und Drehbuchautor. Es könnte sich aber auch um eine rein deutsche Produktion handeln, denn in Deutschland gibt’s entweder Filme wie „Das Kanu des Manitu“ oder Filme wie eben „Electric Child“. Wobei die schweizer Kinolandschaft noch ein etwas größeres Problem zu plagen scheint: Dort scheint’s nur Filme wie „Electric Child“ zu geben. Weswegen die meisten Schweizer fern bleiben, wenn Schweizer Filme drehen.
Und dabei steckt hier durchaus Potential drin: Ein junges Züricher Ehepaar, Jason und Akiko Brugger, bekommt ein Kind. Doch das hat eine seltene Krankheit, die dafür sorgen wird, dass ihr Baby das erste Lebensjahr nicht überleben wird – die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Todes liegt bei 95,3 Prozent. Jason will das nicht akzeptieren und ist glücklicherweise ein genialer Computerwissenschaftler, der unter höchsten Sicherheitsstandards an einem KI-Projekt arbeitet. Er hat auf einer simulierten einsamen Insel eine künstliche Lebensform heranwachsen lassen, die in der virtuellen Welt allmählich eine beachtliche Intelligenz entwickelt. Herr Brugger hofft nun, dass die KI, die in Gestalt eines androgynen Teenagers daherkommt, sein Baby retten kann. Doch dafür muss er die KI in die Realität holen, was einen erheblichen Einfluss auf die gesamte Welt haben könnte.
Regisseur und Drehbuchautor Simon Jaquemet kreist um das Verhältnis zwischen Mensch und KI, insbesondere zwischen KI und Tod, wirkt in der Umsetzung des großen Themas aber erstaunlich klein. Das serienepisodenhafte Hin- und Hergeschneide zwischen Realität und künstlicher Umgebung nervt, zumal es schon bald keine interessanten Bilder mehr zu sehen gibt. Das generische Insel-Setting ist schnell durch, viel zu viel spielt in einer Züricher KI-Fabrik, die optisch gar nichts hergibt, in nicht wenigen Momenten aussieht wie die Heizungskeller-Settings von alten Videotheken-Actionfilmen. Passenderweise versumpft die wie aus verschiedenen Projekten zusammengetackert wirkende oder vielleicht auch via ChatGPT generierte, jedenfalls immer diffuser werdende Geschichte in der zweiten Stunde zunehmend in abstruse Actionszenen.
Jaquemet findet sein Thema irgendwie interessant, aber er erkennt das Potential nicht, entwickelt keine weitergehenden Gedanken. Er lässt naheliegende moralphilosophische Fragen durch den filmischen Raum schweben, bemüht sich aber noch nicht mal um Antwortmöglichkeiten, sondern verbringt stattdessen viel Zeit damit zu zeigen, wie die KI lernt. Doch das ist schlicht und einfach langweilig.
Was „Electric Child“ vollends das Genick bricht: Das Ehepaar bleibt einem trotz äußerst tragischem Schicksal fremd. Ein Ehepaar, wie es nur der Fantasie mehrfach filmpreisnominierter Kunsthochschulabsolventen entsprungen sein kann: Er ist ein stets getriebenes, nahezu manisches Computergenie, ein biederer Super-Nerd mit ehrenvollen Prinzipien, das sogar millionenschwere Angebote von Facebook ausschlägt, sie ist eine heiße Japanerin mit Nasenpiercing (gespielt vom schauspielernden Luxusmode-Model Rila Fukushima), die sich als, na klar, Künstlerin verdingt. Beide fahren – mit dem kranken Kind (!) – auch schon mal eben zu einem Rave im Wald, um Stress abzubauen, und pressen ihre Dialogzeilen gerne mit viel Dramatik in der Stimme raus. Nichts wirkt an diesem Paar natürlich, die Nebendarsteller stehen da kaum nach. Das einzige Lebendige in diesem Film ist das todkranke Baby.
Abb. Port au Prince Pictures
Electric Child • Schweiz/Deutschland/Philippinen 2024 • Regie: Simon Jaquemet • Darsteller: Elliott Crosset Hove, Rila Fukushima, Sandra Guldberg Kampp, Helen Schneider • jetzt im Kino
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