22. August 2013 1 Likes

Die letzten Tage der Menschheit

„Vortex“ von Robert Charles Wilson

Lesezeit: 4 min.

Die epische Schilderung von den letzten Tagen der Menschheit, die Robert C. Wilson mit »Spin« begann (der plötzlichen Ummantelung unserer Erde durch eine anonyme, schließlich »Die Hypothetischen« genannte außerirdische Intelligenz) und die er mit »Axis« fortsetzte, findet in »Vortex« (im Shop ansehen) ihren Abschluss und Höhepunkt: In ferner Zukunft verbinden riesige Tore unseren ökologisch zugrunde gerichteten Planeten mit anderen Welten, in welche die Menschheit vor dem Kollaps flüchtet. Doch noch immer weiß sie nicht, zu welchem Zweck die »Hypothetischen« diese Sternentore und andere fremdartige Technologien schufen – sie bleiben stumm, analysierend, teilnahmslos.

Da entdeckt eines der letzten riesigen (das heißt: kontinentgroßen) Schiffe der Menschen – die Vox – auf einer Erkundungsfahrt auf der alten Erde einige Überlebende der in »Axis« geschilderten großen Katastrophe. Unter ihnen befinden sich Turk Findley und Isaac Dvali, die durch einen außerirdischen »Temporalbogen« mehrere Jahrtausende weit transportiert worden, in die ferne Gegenwart des Romans. Doch noch während die zuständige Vox-Soldatin Treya (die wie alle anderen ein drohnenartiges Dasein führt) über die Herkunft der beiden rätselt, wird die Erkundungssonde kurz vor Erreichen eines Sternentors (durch welches Vox die unwirtliche Erde verlassen wollte) angegriffen und der Großteil seiner Bewohner getötet. Treya, Turk und Isaac überleben die Katastrophe und müssen auf sich allein gestellt den Weg zurück zu Vox finden, um einen lebensfreundlicheren Planeten erreichen zu können.

Inmitten dieses Szenarios verfrachtet uns der Autor plötzlich zurück in die nähere Zukunft der Erde (die »Spin«-Gegenwart) und stellt uns drei weitere Protagonisten vor: Sandra Cole, Psychiaterin, der ein Polizist namens Bose eines Tages einen jungen, verwirrten Mann zur Untersuchung bringt: Orrin Mathers. In dessen Gepäck wurden von ihm verfasste Schriftstücke gefunden, die von einer fernen Zukunft handeln – und von einem Mann namens Turk Findley!

Wilson überrascht uns also mit einem literarischen Kunstgriff: Er durchbricht die anfangs erschaffene, authentisch geschilderte Romanwelt und wirft die Frage auf, ob sie nicht einfach nur von Orrin Mathers erfunden wurde. Doch zu welchem Zweck? Sandra und Bose wollen herausfinden, ob der sprachlich nicht sehr versierte Orrin einfach nur ein Betrüger ist oder tatsächlich Informationen aus der Zukunft erhält – und warum. Die Handlung lässt diese beiden Möglichkeiten lange in der Schwebe, ohne an Fahrt zu verlieren: In beiden Zeitebenen geschehen dramatische Dinge, die keine Langeweile beim Lesen aufkommen lassen und die Wahrheit Schritt um Schritt enthüllen. Orrin hat sein Wissen tatsächlich aus der Zukunft empfangen – und dahinter steckt einmal mehr die Technologie der Hypothetischen.

Der Autor versteht es gekonnt, zwischen der elegischen, lyrischen Schilderung der fernen Zukunft (die er so gut wie kaum ein anderer beherrscht) und der harten, prosaischen Sprache unserer heutigen Welt zu wechseln, ohne in Klischees oder Fantasieworte abzugleiten. Dennoch fragte ich mich nach dem Lesen von »Vortex«, warum er sich überhaupt die Mühe machte, jene zweite Handlungsebene rund um Orrin einzuführen, die letztlich nicht viel mehr als ein Krimiversatz ohne wesentliche SF-Elemente ist. Ich hätte es interessanter gefunden, wäre Wilson in jener fernen Zukunft geblieben, wo sich die letzten Menschen auf die Suche machen, um endlich die wahre Bedeutung und Herkunft der »Hypothetischen« zu finden.

Dort zeigt er nämlich seine echte schriftstellerische Stärke: Kaum jemand schreibt so staunend und gleichzeitig illusionslos über die Zukunft wie Wilson; meisterhaft baut er ein Geheimnis rund um »seine« Außerirdischen auf, das der Lösung entgegendrängt; und wie kein anderer stellt er uns fremde Artefakte vor, die nicht nur eindrucksvoll, sondern im besten Sinne mehrdeutig sind. Ob es sich um die »Chronolithen« aus seinem gleichnamigen Roman handelt, um die dunklen Ruinen des plötzlich erscheinenden Kontinents »Darwinia« (ein anderer Roman) oder eben um die Sternentore des »Spin«-Universums. Seine Freude und Faszination am Fremdartigen überträgt sich auf uns – und im Gegensatz zu vielen Pseudo-SF-Autoren weicht Wilson in der Erklärung seiner Erfindungen nicht auf billige Fantasy-Ideen aus (à la »Sie wurden von einer Alien-Intelligenz hergezaubert«), sondern scheut nicht die Mühe, wissenschaftliche Interpretationen zu liefern, die unser Vorwissen oftmals um originelle, neue Denkansätze bereichern. Wilson zu lesen, ist also immer sinnvoll.

So klärt er auch im letzten Kapitel von »Vortex« (welches für mich die Essenz seines bisherigen literarischen Schaffens darstellt) nicht nur auf, wie sich zwischen Orriin Mathers und dem Jahrtausende in der Zukunft lebenden Turk Findley eine Verbindung ergeben konnte. Er lüftet auch das Geheimnis um die »Hypothetischen« – zumindest so weit, dass wir ein Gefühl des »Aha« bekommen, ohne jenes des »Sense of Wonder« zu verlieren. Auch hierin liegt Wilsons Meisterschaft – gerade so viel im Dunklen, Unerklärten zu lassen, dass die Erklärungen nicht plump wirken und andererseits aber auch nicht ohne Weiteres anfechtbar sind: Virtualität trifft auf Quantenphysik, Informatik auf Exobiologie. Und übrig bleibt – ohne zu viel verraten zu wollen – die Erkenntnis, dass unsere hochentwickelte Zivilisation für ältere, außerirdische Intelligenzen wohl nur das Pendant einer interessanten Datenbank darstellt.

Robert Charles Wislon: Vortex • Roman · Aus dem Amerikanischen von Marianne und P. H. Linckens · Wilhelm Heyne Verlag, München 2012 · 399 Seiten · € 7,99 (im Shop ansehen)

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