7. Mai 2014

Zukünftige Feiertage

Woran werden wir denken, wenn wir nicht mehr arbeiten? – Eine Kolumne von Hartmut Kasper

Lesezeit: 4 min.

Manchmal ist man von Feiertagen derart umstellt, dass man nicht zum Arbeiten kommt: Am Tag der Arbeit beispielsweise ‒ dem Kampftag der Arbeiterbewegung ‒ soll man feiern. Das hat seinen guten Grund: Schließlich geht der Maifeiertag auf den Versuch der Arbeiterbewegung in Nordamerika zurück, die Zahl der Arbeitsstunden pro Arbeitstag von zwölf auf acht zu verringern; die Befreiung von Arbeitslast wurde damals mit etlichen Toten erkauft.

Andere Feiertage geben transzendente Gründe für die Schaffenspausen an. Hierzulande sind viele diese Feiertage mit der realen oder transzendenten Biographie des Religionsstifters Jesus Christus verknüpft. So feiert man seine Geburt, seinen Tod, seine Wiederauferstehung und schließlich seine Himmelfahrt, in Deutschland seit 1930 per Gesetz. Entsprechende Himmelfahrtsfeiertagsgesetze gelten unter anderem auch in Grönland, Finnland, Namibia, Österreich, in der Schweiz, auf Haiti und auf Madagaskar. Italien bemüht sich diesbezüglich noch um eine gesetzliche Regelung. Hier und da wird auch Mariä Himmelfahrt, will sagen der Aufnahme Mariens in den Himmel durch ganztägige Arbeitsniederlegungen gedacht.

Andere Feiertage haben sich in Deutschland längst zu ihren Ahnen versammelt: So ist der Sedantag ebenso aus dem Kalender verschwunden wie Kaisers Geburtstag (27. Januar), der dem feiernden Volk idealerweise das schönste Kaiserwetter bescherte und der begangen wurde, wo immer die deutsche Fahne wehte. Es gab schulfrei, und die Kinder sagten Gedichte auf wie:

Der Kaiser ist ein lieber Mann
er wohnet in Berlin
und wär das nicht so weit von hier
so ging ich heut noch hin.

Zieht uns Heutige etwas nach Berlin, ist es eher das Pokalfinale ‒ eine Entwicklung, die man als republikanisch gesinnter Mensch nur gutheißen kann.

Andere Festtage haben bei uns, ja in ganz Europa bislang nicht recht Fuß gefasst ‒ Duanwujie beispielsweise, das chinesische Drachenbootfest. Man feiert es am fünften Tag des fünften Mondmonats nach dem chinesischen Mondkalender, indem man Drachenbootwettrennen veranstaltet und fleißig Teigtaschen isst. Warum man es eigentlich feiert, ist nicht ganz geklärt. Der eindrucksvollsten Legende nach soll sich an besagtem Tag der große Dichter Qu Yuan in einem Fluss ertränkt haben, um gegen die Korruption der Regierung ein Zeichen zu setzen. Das Volk, um zu verhindern, dass die Fische von seiner Leiche zehrten, setzte mit Booten nach und lenkte die Fische mit Teigtaschenfutter ab. Warum hat sich Duanwujie in unseren Breiten noch nicht durchgesetzt? An Teigtaschen fehlt es nicht. Können unsere Dichter vielleicht nur zu gut schwimmen?

Bei uns eher unbekannt ist auch der Kolumbus-Tag. Er erinnert an die Landung des italienischen Seefahrers Cristoforo Colombo am 12. Oktober 1492 auf den Bahamas; sein Schiff ‒ die Santa Maria ‒ war nach der oben ihrer Himmelfahrt wegen bereits erwähnten Gottesmutter benannt. In Chile heißt dieser Feiertag „Tag der Entdeckung zweier Welten“, in Venezuela „Día de la Resistencia Indígena“ („Tag des Indigenen Widerstands“). So findet man halt immer einen Grund zu feiern.

Welcher Ereignisse wird man wohl zukünftig in Würde und Muße gedenken, national, wenn nicht sogar global? Wäre der 21. Juli ein Kandidat? Am 21. Juli 1969 betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Seitdem sehen wir die Erde als großes Ganzes, als von einer flüchtigen Gashülle umgebene Wohnstatt aller, die aller Fürsorge bedarf und zu deren Erhalt die Menschheit gemeinsam Hand anlegt (der Tatsache eingedenk, das manch hilfreicher Geist ja den Planeten via Himmelfahrt verlassen hat).

Der 14. Mai wäre ein prima Feiertag: Am 14. Mai 1984 wurde Mark Zuckerberg geboren, Sohn eines Zahnarztes und einer Psychotherapeutin, Heiler von Haus, gewissermaßen, der uns das Facebook beschert hat, jenes virtuelle Familienalbum der Menschheit. Schön wäre es auch, des Tages zu gedenken, an dem zum letzten Mal auf dieser Welt ein Mensch ‒ Kind, Erwachsener, Greis ‒ verhungert, erfriert, im Namen irgendeines Gottes, Volkes oder Vaterlandes erschossen wird. Aber das hieße wohl zu weit in die Zukunft blicken.

Mein persönlicher Favorit wäre der 26. September. Am 26. September 1983 meldete um 0:15 Uhr das sowjetische Überwachungssystem in der Kommandozentrale nahe Moskau den Start einer Nuklearrakete Richtung Russland. Der leitende Offizier Stanislaw Petrow aber behielt einen klaren Kopf. Er deutete den Alarm als Fehlermeldung seines Computers, verhinderte auf diese Weise die kollektive Himmelfahrt der Menschheit und bescherte ihr gewissermaßen den zweiten Geburtstag.

Und vielleicht kommt ja sogar der Tag, an dem wir alles und jeden feiern: den 8. April (563 vor Christus, Buddhas Geburtstag) ebenso wie den 9. Juni (1934, erster Auftritt von Donald Duck), den 4. Oktober (1957, Start des Sputniks vom Weltraumbahnhof Baikonur) wie den 17. September (1966, Start des Schnellen Raumkreuzers Orion im Deutschen Fernsehen). Dann feiern wir, weil wir die lästige Erwerbsarbeit in die Hände wohltuender Maschinen gelegt und die Tage der Menschheit in einen einzigen, nicht enden wollenden Feiertag verwandelt haben, einen ewigen 1. Mai.

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