Vielweiberei und verdreifachte Gehälter
In Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ geht Europa an sich selbst zugrunde
Es kommt nicht allzu oft vor, dass sich Science-Fiction als skandaltauglich erweist – doch genau dies ist im noch frischen Literaturjahr 2015 der Fall: Michel Houellebecq, bewährtes Enfant terrible des französischen Buchmarkts, beschreibt in seinem neuen Roman „Unterwerfung“, wie mitten in Europa eine islamische Machtübernahme stattfindet. Ein provozierendes Szenario, das durch die jüngsten terroristischen Vorfälle noch einmal an Brisanz zu gewinnen scheint. Doch wovon handelt das Buch tatsächlich?
Im Jahr 2022 werden die französischen Parlamentswahlen von Unruhen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen begleitet. Nachdem François Hollande bei dem Versuch gescheitert ist, auf seine zweite Amtsperiode eine dritte folgen zu lassen, sieht sich Marine Le Pen mit ihrer rechtsextremen Front National kurz vor dem Ziel. Doch plötzlich kommt es zu einem Bündnis zwischen Sozialisten, Konservativen und Muslimbruderschaft, um deren Kandidaten Mohammad Ben Abbes zum Sieg zu verhelfen. Das Manöver gelingt – und Frankreich wird zum islamischen Land.
Da aber Ben Abbes dem gemäßigten Flügel angehört und keine Schwierigkeiten darin sieht, die beiden anderen abrahamitischen Weltreligionen anzuerkennen, fallen die Konsequenzen moderat aus. Kein Terrorregime wird errichtet, stattdessen sinken die Arbeitslosenzahlen, weil durch die großzügig bezuschusste Rückführung berufstätiger Frauen in die Familien jede Menge Stellen frei werden. Auch im Straßenbild gibt es kaum Veränderungen. Allerdings sind weder Kleider noch Röcke zu sehen, und die Schulpflicht endet mit zwölf Jahren, da weiterführende Bildung nun Privatangelegenheit ist. Die Lehrer an den Akademien hingegen erhalten zwecks Ruhigstellung verdreifachte Gehälter; Petrodollar aus Saudi-Arabien machen es möglich.
Diese Veränderungen werden vom Ich-Erzähler nicht ohne Verblüffung registriert. François ist Spezialist für Dekadenzliteratur und arbeitet als Universitätsdozent; sein Leben steckt allerdings schon lange in einer Sinnkrise, an der auch die jungen Studentinnen, mit denen er unentwegt Affären hat, nichts zu ändern vermögen. Umso mehr spiegelt er sich in der Biographie von Joris-Karl Huysmans (1848–1907), der gegen Lebensende zum katholischen Glauben fand. Doch da sein Aufenthalt in einer Abtei schon aufgrund des dort geltenden Rauchverbots wirkungslos ist, beginnt François, sich zunehmend mit dem Islam anzufreunden – zumal ihm die nun staatlich garantierte Vielweiberei durchaus zusagt: Wie sonst erhält man die Möglichkeit, eine Fünfzehnjährige als Zweitfrau zu nehmen?
„Unterwerfung“, nach „Elementarteilchen“ und „Die Möglichkeit einer Insel“ ein weiterer Science-Fiction-Roman von Michel Houellebecq, stellt ein Gedankenspiel in den Mittelpunkt, das genauso legitim ist wie die Frage, was aus Europa geworden wäre, wenn es die Reformation nicht gegeben hätte. Das Szenario um ein islamisches Frankreich kommt zwar ohne Schreckensbilder aus, erweist sich jedoch rasch als naiv und wenig plausibel. Zu einfach sind die Konstellationen gestrickt, mit denen Houellebecq seine Leser zu umgarnen versucht, und zu widerspruchslos nehmen die traditionell laizistisch gesonnenen Franzosen ihre Niederlage hin: Proteste und Widerstand finden nicht statt. Damit allerdings bleibt auch die Spannung weiträumig auf der Strecke, denn das Buch schildert letztlich nur, wie sich François im Laufe vieler Gespräche allmählich mit dem Islam anfreundet.
Tatsächlich ist Religion für Houellebecq nur in zweiter Hinsicht von Interesse. Vielmehr gefällt sich der Autor darin, ein weiteres Mal die Parole „Europa ist an sich selbst zugrunde gegangen“ zu proklamieren und die Europäer als einen von sich selbst gelangweilten und vor allem glaubensfernen Haufen darzustellen, dessen Vertreter zwar zig Sorten Fruchtsaft zur Verfügung haben, aber kläglich scheitern, wenn es darum geht, einen Grill zu bedienen. François ist hier keine Ausnahme. Und so treibt der orientierungslose Mann, dessen Denken im Wesentlichen durch Krankheiten und routiniert abgespulte Sexualakte bestimmt wird, von seinen Studentinnen über junge Huren direkt in die islamische Heiratsvermittlung hinein, kommen doch Frauen aus seiner Perspektive vor allem zwei Plätze zu: in der Küche und im Bett. Dass hinter derart lachhaften Positionen der Autor aufscheint, um sich ein weiteres Mal als Reaktionär zu inszenieren, muss befürchtet werden.
Natürlich kann man „Unterwerfung“ als Satire begreifen, als recht bemühten, langatmigen und unbeholfenen Versuch, dem Westen den Spiegel vorzuhalten. Letztlich verdient das Buch aber weder unter Unterhaltungs- noch literarischen Aspekten besondere Aufmerksamkeit. Was bleibt, ist ein herbeigeredeter Skandal – und das viele Geld, das mit ihm zu verdienen ist.
Michel Houellebecq: Unterwerfung (Soumission) • Aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek • Dumont Verlag, Köln 2015 • 272 Seiten, € 22,99
Kommentare
Die Idee wäre interessant, aber an der vom Autor angelieferten Umsetzung hapert es leider. Danke für den Tipp, der in meinem Fall in der Buchhandlung stehen bleibt.
Ich hatte mir schon gedacht, dass das nix werden würde ... *seufz* Danke für die Besprechung - das erspart mir die Mühe, mir ne Leseprobe davon anzutun.