17. September 2014 1 Likes

Lieber hoffnungsvoll ins Ungewisse aufbrechen …

Ein Interview mit Norbert Stöbe

Lesezeit: 4 min.

Morgenröte“ heißt der neuste Roman des deutschen Autors und Übersetzers Norbert Stöbe, und der zeichnet nicht gerade ein rosiges Bild unserer Zukunft: Eine keineswegs hausgemachte Form der Globalen Erwärmung zwingt die Menschen unter die Erde, und die Abhilfe in Form eines gigantischen Raumschiffs, das Siedler zu dem erdähnlichen Planeten Morgenröte transportieren soll, klingt beinahe zu schön, um wahr zu sein. Im Interview verrät er uns nun ein paar Hintergründe und Überlegungen zu „Morgenröte“ (im Shop):

 

In vielen Romanen, die sich mit globaler Erwärmung und deren Folgen befassen, ist der Mensch in der Regel schuld an der Klimaveränderung. Sie haben für Ihren Roman „Morgenröte“ einen ganz anderen Ansatz gewählt. Wie funktioniert globale Erwärmung in „Morgenröte“, und warum haben Sie sich für diese Weg entschieden?

Beim Erzählen nehme ich mir kein Thema vor, sondern gehe, zumindest zu Anfang, intuitiv vor. Bei „Morgenröte“ habe ich ein einfaches Bild ausgesponnen: Ein Mann sitzt in einem dunklen unterirdischen Raum. Er versteckt sich, beobachtet durch ein Periskop die Umwelt. Warum? Weil es draußen heiß ist – lebensgefährlich heiß.

Mir war sofort klar, dass es für die lebensfeindlichen Bedingungen draußen einen schwerwiegenderen Grund geben musste als die menschengemachten Umweltprobleme. Ich glaube an die grundsätzliche Lösbarkeit dieser Probleme. Die kosmischen Naturkräfte hingegen gehören anderen Größenordnungen an als alles, was wir anrichten können, und die durch sie ausgelösten Veränderungen vollziehen sich meist so langsam, dass wir nichts davon mitbekommen. Das macht es leicht, diese Optionen zu verdrängen. Es gibt ja auch keinen triftigen Grund, sich damit zu beschäftigen. Wir wissen zwar, dass unsere Sonne irgendwann erlöschen wird, aber das ist noch lange hin. Wir wissen, dass das Magnetfeld der Erde sich so verändern kann, dass die Strahlenbelastung signifikant zunimmt, aber niemand rechnet ernsthaft damit, dass ein solches Ereignis eintritt. Wir nehmen das, was ist, für gegeben und selbstverständlich, aber das ist es nicht. Ich habe eine globale Erwärmung aufgrund nicht näher beschriebener intrasolarer Prozesse vorausgesetzt. Zeitgleich bricht das Magnetfeld der Erde zusammen, sodass die Intensität der Sonnenstrahlung rapide ansteigt. Dann habe ich mir angeschaut, wie verschiedene Protagonisten mit einer Situation umgehen, in der das Ende unserer Zivilisation unmittelbarer denkbar wird als unter den gegebenen Bedingungen. Ich wollte keinen Ökoroman schreiben und nicht mit dem Zeigefinger wackeln, sondern von Menschen in schwieriger Lage erzählen.

 

Wie wahrscheinlich ist so eine Singularität, wie Sie sie beschreiben? Oder kam so etwas gar schon einmal vor? Und was könnten wir tun, um uns davor zu schützen?

Also, diese Fragen überfordern mich. Um Wahrscheinlichkeiten geht es mir auch nicht. Ich kann nur sagen, dass ich manchmal über das Selbstverständliche staune, zum Beispiel darüber, dass  Fernseher flach sind oder dass ein so gewaltiger Fusionsofen wie die Sonne über Zeiträume von Millionen und Milliarden Jahren für vergleichsweise stabile Bedingungen auf der Erde sorgt. Und zum Staunen gehört logischerweise auch das Gegenteil – sich vorzustellen, dass es zu Störungen in den natürlichen Bedingungen des Lebens kommen könnte.

 

Anstatt sich auf einen Protagonisten zu konzentrieren, kommen bei Ihnen ganz unterschiedliche Figuren zu Wort. Was macht den besonderen Reiz – oder die besondere Schwierigkeit – bei so einer Herangehensweise aus? Haben Sie eine Lieblingsfigur?

Ursprünglich hatte ich vor, die Geschichte konventioneller zu erzählen, mit durchgehender Handlung, die von zwei, drei Protagonisten getragen wird. Dann kam ich auf die Idee, alles wegzulassen, was in erwartbaren Bahnen verläuft und mich beim Schreiben langweilt. So kam es zu den hintereinander angeordneten Strängen, die motivisch und personell nur leicht verknüpft und durch mehr oder minder harte Schnitte voneinander getrennt sind. Schlaglichtartig werden damit sehr unterschiedliche Situationen und Szenarien beleuchtet, die trotzdem miteinander in Beziehung stehen. Das Schreiben war für mich deshalb eine sehr abwechslungsreiche Erfahrung. Meine Lieblingsfigur ist übrigens Scema, die Dumme. Wegen der unerträglichen Lebensbedingungen flieht sie aus dem italienischen Süden nach Mailand, wo sie zunächst bei einer Stricherbande unterkommt. Von dort aus zieht sie mit Luca zusammen in die Alpen und landet in der Sklavenhaltergesellschaft eines sogenannten SafeHouse. Von dort flüchtet sie nach Paris und wird Zimmermädchen. Der Witz ist, dass sie alles andere als dumm ist. Sie muss eine Menge einstecken, aber sie wird nicht davon beschädigt. Sie ist keine Heldin, aber bleibt sich treu, macht kein Aufhebens um sich und den Zustand der Welt und tut im Kleinen, was sie kann. Das gefällt mir.


Norbert Stöbe © Foto: privat

Die Menschen in „Morgenröte“ beschließen, ein gigantisches Raumschiff zu bauen, um die immer unbewohnbarere Erde hinter sich zu lassen. Geoengineering scheint hingegen keine Option zu sein, obwohl dieses Thema immer häufiger angeschnitten wird, nicht nur in der SF-Literatur. Sollte uns jemals so eine Singularität heimsuchen, was ist wahrscheinlicher: Das Morgenröte-Projekt oder Geoengineering?

Es gibt Dinge, die lassen sich nicht handhaben. Dann entsteht eine existenzielle Situation. Bei den einen kommt das Schlimmste zum Vorschein, andere wachsen über sich hinaus. Der eine pflanzt ein Rosenbäumchen, ein anderer entwirft einen tollkühnen Plan. Im Übrigen weiß niemand, wie lange die Menschheit überdauern und welche Erscheinungsformen sie annehmen wird. Aber ich glaube fest, dass sie irgendwann auch den interstellaren Raumflug in Angriff ​nehmen wird – vorausgesetzt, sie bekommt genug Zeit.

 

Würden Sie sich ein Los für einen der Plätze auf dem Morgenröte-Raumschiff kaufen – oder bleiben Sie lieber hier?

Ich würde mir unbedingt nicht nur eins, sondern viele Lose kaufen – besser hoffnungsvoll ins Ungewisse aufbrechen als sehend ins Verderben laufen.

 

Vielen Dank für das Interview!

Mehr Informationen zu Norbert Stöbe und seinen Werken finden Sie auf seiner Homepage.

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