22. Januar 2016 2 Likes

Digitalisieren, synchronisieren und verlieren

Alena Graedons Roman „Das letzte Wort“ in der diezukunft.de-Edition

Lesezeit: 3 min.

Nach Thomas Sweterlitschs „Tomorrow & Tomorrow“ (im Shop), dem ersten Roman in Heynes diezukunft.de-Edition, ist auch Alena Graedons „Das letzte Wort“ (im Shop), der zweite Band der jungen Science-Fiction-Reihe zu dieser Website, wieder ein Roman-Debüt. Daraus mag man eine Tendenz und ferner den Gedanken ableiten, dass mit neuen Autoren in die Zukunft der Welt genauso geblickt werden soll wie in die jenes Genres, das sich dieser Zukunft traditionell widmet. Allerdings wirft die aus North Carolina stammende Alena Graedon, die heute im New Yorker Stadtteil Brooklyn lebt, einen ausgesprochen unheilverkündenden Blick nicht allzu weit nach vorn …

In Graedons Zukunfts-Vision einer über-digitalisierten Welt, die der Leser größtenteils durch dezent schrullige Ich-Erzähler kennenlernt, sind Print-Medien eine aussterbende Gattung – eigentlich hat der Komet, der die gedruckten Dinosaurier vom Antlitz der Erde fegt, bereits eingeschlagen. Smartphones und Tablets haben sich außerdem zu so genannten Mems weiterentwickelt und sind direkt mit dem Gehirn ihrer Besitzer verbunden, sodass die mobilen Geräte auf jede Stimmung, jeden Gedankenfetzen, jeden Handlungs-Impuls und jedes Wort, das einem selbst gerade nicht einfällt mitten im gesprochenen Satz, reagieren. Was nur der Anfang der fatalen Symbiose und Synchronisierung von Mensch und Maschine ist. Schließlich kommt eine verbesserte Version auf den Markt, die das Verständnis und den Gebrauch von Sprache durch den Wortaustausch für die Benutzer neu definiert – gefolgt von einem Virus, das den Menschen buchstäblich die Wörter und letztlich die Worte raubt. Ana, deren Vater das einzige übriggebliebene englischsprachige Wörterbuch herausgibt und plötzlich verschwindet, stolpert in den Kampf der verbliebenen Liebhaber des geschriebenen und gedruckten Wortes …

Wie sich das für einen Roman über Sprache gehört, mangelt es Alena Graedons Geschichte niemals an Wörtern. Hinter den gedrechselten, wortreichen Sätzen (und einigen Fremdwörtern, Klammern, Fußnoten und verschachtelten Rückblenden und Romanzen) verbirgt sich eine wenig subtile Kritik am Zeitgeist und dem Weg, den die moderne Menschheit eingeschlagen hat. Kritik daran, wie wir als Gesellschaft digital kommunizieren und konsumieren, wie wir unser Leben in die Hände technischer Hilfsgeräte begeben und die Grenzen zwischen digital und analog verwischen in einem Alltag synchronisierter Gadgets. Unbegründet sind diese Kritik und die ihr zugrunde liegende Sorge keinesfalls, wenn man sich die Trends und Entwicklungen betrachtet.


Alena Graedon; Foto © Joe Graedon

Absolut erschreckend ist hingegen sogar die früh durch die Lektüre konkretisierte Erkenntnis, wie schnell und leicht liebgewonnene Dinge durch wenige Schritte in die Zukunft zu Artefakten und Vintage werden können, und dass dieser Prozess für Bücher, Comics, Zeitungen, Magazine, DVDs und Co. schon längst eingesetzt hat, derweil wir mit neu gewonnener Leichtigkeit und – vermutlich – Gedankenlosigkeit downloaden und streamen. Natürlich ist „Das letzte Wort“, das im englischsprachigen Original unter dem Titel „The Word Exchange“ erschienen ist, eine ungeheuer pessimistische, dramatische Hochrechnung – eine extreme, auf die Spitze getriebene Digitalisierungs-Dystopie. Doch so, wie man viele Wörter sieben muss, um die Story zu fassen zu bekommen, so verbirgt sich auch hinter der plakativen Message eine Warnung, die nicht ganz abgetan, nicht völlig ungehört bleiben sollte.

Nachdem dieser Text anhand des Paperbacks erstellt wurde, wäre es recht interessant, zu erfahren, ob Leser, die sich „Das letzte Wort“ auf einem Reader oder einem Tablet zu Gemüte führen, ein schlechtes Gewissen oder zumindest ein unbestimmt-ungutes Gefühl bekommen, während sie auf den beleuchteten Touchscreen starren.

Alena Graedon: Das letzte Wort (diezukunft.de Edition Bd. 2) • Heyne, München 2016 • 577 Seiten • E-Book: 11,99 Euro

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