7. Juni 2016 2 Likes

„Wir gehen, wie wir gekommen sind“

„The Last Man on the Moon“, die Dokumentation über Astronaut Gene Cernan und Apollo 17

Lesezeit: 4 min.

Als US-Astronaut Gene Cernan am 14. Dezember 1972 die Leiter zur Landefähre Challenger hinaufkletterte, wusste er, dass er für lange Zeit der letzte Mensch auf der Oberfläche des Mondes sein würde. Er hinterließ die Initialen seiner Tochter beim „Lunar Roving Vehicle“, dem „Mondauto“, und seine Fußabdrücke im feinen Regolith, und bis heute ist kein Mensch mehr in diese Fußspuren getreten. Wie aus Eugene Cernan der letzte Mensch auf dem Mond wurde, zeigt die Dokumentation „The Last Man on the Moon“ des britischen Filmemachers Mark Craig, die seit Kurzem in Deutschland auf Netflix zur Verfügung steht.

Eugene Cernan, heute 82, wuchs im mittleren Westen der USA auf und ging nach dem College zur Navy, wo er Pilot wurde. Er flog herausragend, also bekam er einen der gefährlichsten Jobs, die die Navy zu bieten hat, und diente auf einem Flugzeugträger. Die jungen Piloten waren ehrgeizig, forderten sich permanent gegenseitig heraus und waren davon überzeugt, dass Unfälle nur anderen passieren. Diese Umgebung sollte Cernan bestens auf die Bedingungen vorbereiten, die er später bei der NASA vorfinden würde.

Die Weltraumagentur rekrutierte ihn 1963 – ein absurder Prozess, der unter anderem beinhaltete, dass man unter einem falschen Namen im Rice Hotel in Huston einchecken und eine ganze Reihe anstrengender medizinischer und psychologischer Tests durchlaufen musste. Die Jahre nach dem Umzug der Familie Cernan – er hatte inzwischen die ehemalige Stewardess Barbara geheiratet und mit ihr eine Tochter – nach Huston sind voll und ganz Training und Ausbildung gewidmet, „acht Tage die Woche Vollgas“. Die Draufgänger-Typen aus Huston und ihre Ehefrauen mit den absonderlichen Frisuren sind inzwischen zu Klischees geworden, und Craig ist bemüht, uns daran zu erinnern, dass das keine fiktionalen Figuren sind, sondern echte Menschen. Dazu nutzt er die Rückschläge des Raumfahrtprogramms: Erst der Flugzeugabsturz der Gemini 9-Crew, durch den Ersatzpilot Cernan nachrücken konnte, dann das Feuer von Apollo 1, später die Beinahe-Katastrophe von Apollo 13.

Nach Gemini 9, bei dem Cernan einen Weltraumspaziergang durchführte, folgte der Flug zum Mond mit Apollo 10, die Generalprobe für die Mondlandung mit Apollo 11. Dazwischen lagen drei Jahre rigorosen Trainings, unter dem vor allem Cernans Familie zunehmend litt. „Sie glauben, zum Mond zu fliegen wäre hart? Versuchen Sie mal, zu Hause zu bleiben!“, sagt Barbara im Interview. „Wir waren nicht da. Wir waren Egoisten“, erinnert Cernan sich, und sein Kollege Alan Bean fügt hinzu: „So etwas wie eine Work-Life-Balance gab es für uns Astronauten damals nicht.“ Keiner wollte sich jedoch die Gelegenheit entgehen lassen, in die Geschichtsbücher einzugehen, und so stand die Familie immer an zweiter Stelle, während die Männer sich konstant ans Limit trieben.


v.l.n.r.: Harrison Schmitt, Gene Cernan (sitzend) und Ron Evans

Trotz aller Opfer, die die Astronauten und ihre Familien erbrachten, war Cernans Flug zum Mond nie sicher. Als deutlich wurde, dass das Apollo-Programm beendet und Apollo 17 die letzte Chance werden würde, bekam Cernan Angst, dass er zu spät gekommen sein könnte. Doch er hatte Glück und wurde für die letzte Mission zum Mond ausgewählt. Am 7. Dezember 1972 folgte der spektakuläre Nachtstart von Apollo 17, und am 11. Dezember setzten Cernan und Harrison Schmitt im Mare Serenitatis auf. Die zwei Männer führten drei Tage lang Experimente durch, fuhren die bis dahin längste Strecke (35 Kilometer) mit dem LRV (und stellten dabei einen Geschwindigkeitsrekord von 18 km/h auf), nahmen die bis dahin größten Proben und kehrten schließlich am 14.12. zu Ron Evans in die Apollo-Kapsel zurück, mit der sie am 19. Dezember 1972 im Pazifik wasserten.

Cernans Leben nach seiner Zeit bei der NASA scheint sich kaum von seinen Jahren als Astronaut zu unterscheiden. Der energiegeladene Workaholic Cernan hat seitdem keinen Gang runtergeschaltet und tritt als Redner überall auf der Welt auf. Erst in letzter Zeit, so Cernan, habe er wirklich erkannt, was er seiner Familie angetan habe, und sei nun bestrebt, diesen Fehler nicht zu wiederholen – sagt er, während er sich in irgendeinem Hotelzimmer umzieht, um einen Vortrag zu halten.

„The Last Man on the Moon“ versucht, die oft erzählte, aber immer spannende Geschichte des Apollo-Programms aus einem neuen Blickwinkel zu schildern. Die Ereignisse liegen inzwischen weit zurück, die oft gesehenen Bilder werden mit der Zeit immer unwirklicher. Die „All American Heroes“ von damals sind aber echte Menschen, von denen einige heute noch unter uns leben. Craig versucht, die Gegenwart mit der Vergangenheit in Bildern zu verbinden, was ihm durchaus gelingt. Auf der Strecke bleibt dafür fast alles, was aus den Übermenschen wieder Menschen machen könnte, und dementsprechend bleibt auch Gene Cernan oberflächlich. Kein Wunder, denn dieselben Qualitäten, die ihn damals zum Mond brachten, sorgen heute dafür, dass er sehr genau weiß, wie er sich präsentieren muss. Seine Geschichte wirkt streckenweise wie eine Anekdote, die zu oft erzählt wurde. Nur hin und wieder bröckelt die Fassade ein wenig, etwa, wenn Cernan die deutlich vernachlässigte Apollo-Startrampe besucht und sagt: „So will ich das nicht in Erinnerung behalten. Das ist so enttäuschend. Ich wünschte beinahe, wie wäre heute nicht hergekommen.“ (Inzwischen werden die Startrampen saniert, damit das SLS und die Falcon-Raketen dort starten können).

Allein wegen der Aufnahmen aus den NASA- und Navy-Archiven lohnt sich „The Last Man on the Moon“ schon. Die Reise eines Einzelnen, gezeigt an einem einst jungen und furchtlosen Piloten, der jetzt Rinder züchtet und kaum mehr vom Pferd absteigen kann, illustriert das Verlangen der gesamten Menschheit, das All zu erforschen. Eines Tages wird hoffentlich ein anderer den Titel „(Vorerst) Letzter Mensch auf dem Mond“ tragen.

Bilder © NASA/Project Apollo Archive/M. Craig

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