7. September 2016 1 Likes

Mind the Gap

Bulkheads Puzzle-Game „The Turing Test“ zelebriert einen wissenschaftlichen Diskurs zwischen Mensch und Maschine

Lesezeit: 4 min.

Sag an, wie hast du´s mit dem Menschsein! So könnte man den vom berühmten britischen Mathematiker und Logiker Alan Turing in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts kreierten Test auf den Punkt bringen, mit dem sich (so Turings These) methodisch beweisen lässt, ob eine Maschine ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen besitzt. Dazu kommuniziert ein (menschlicher) Fragesteller ohne optischen oder akustischen Kontakt mit zwei Probanden, von denen einer eine Maschine und der andere ein Mensch ist. Im Verlauf eines Frage-und-Antwort-Spiels besteht die Aufgabe für beide Probanden jeweils darin, den Gesprächsleiter davon zu überzeugen, dass er mit einem Menschen kommuniziert. Sollte sich der Befrager nach Beendigung des Experiments unsicher sein, „gewinnt“ die Maschine, da es ihr aufgrund der Uneindeutigkeit gelungen ist, eine Art Bewusstsein zu demonstrieren, das im Kontext des Experiments „menschlich“ wirkt.

Genau an dieser Stelle setzten Kritiker des Tests an, obwohl Turing selbst schon zu Lebzeiten eingeräumt hat, dass es sich bei seinem Versuch eher um eine theoretische Position handelt, die einer künstlichen Intelligenz zumindest ein flexibles Denkvermögen zuschreibt. So hat der amerikanische Philosoph John Searle kritisiert, dass mit dem Turing-Test eben nicht nachgewiesen werden könnte, ob auch eine Intentionalität vorhanden sei. Searle untermauerte seine Gegenposition vor allem mit der Übersetzungsleistung von Computern bei Sprachen, bei der eine künstliche Intelligenz zwar auch flexibel Worte und ganze Satzkonstruktionen übersetzt, aber keine semantischen Bedeutungen innerhalb des Übersetzten ähnlich speziell wie ein Mensch differenzieren könne. Das Abspulen von Programmcodes belegt nach Searle nicht, dass eine Maschine auch Intentionen oder gar tiefere Motivationen empfindet, wie sie Menschen im Verlauf des Turing-Tests etwa aufgrund der Wettbewerbssituation schon entwickeln könnten.

Das britische Studio Bulkhead entwickelte auf der Basis des Turing-Tests und der sich an diesem Verfahren nicht nur mit Searle entfachten Diskussionskultur ein bemerkenswertes Puzzle-Game für Xbox One und PC, das die Frage nach dem menschlichen Bewusstsein, möglichen tieferliegenden Motivationen und vor allem deren Nachweisbarkeit im Rahmen eines Modellexperiments zum Kern der eigenen Story und auch der Gameplay-Mechanik erklärt. Ähnlich wie in der sehr populären Portal-Reihe geht es in The Turing Test darum, in einzelnen Arealen etwa mithilfe eines Gewehrs, Schaltern und Elektrizität komplexe Physikrätsel zu lösen, um in den jeweils nächsten Raum zu gelangen. Die Verbindung zwischen Story und Gameplay erfolgt vor allem über die beiden Protagonisten des Games, nämlich der steuerbaren Figur der Ava Turing sowie Tom, einer künstlichen Intelligenz, die das Experiment überwacht und alle Schritte von Ava bewertet.

Der Figur Ava Turing lässt sich neben dem eindeutigen Namensbezug zu Alan Turing auch eine weitere programmatische Referenz zuschreiben, die mögliche Hinweise auf das dem Game zugrunde liegende Thema gibt. In dem Spielfilm Ex Machina von Alex Garland wird der junge Programmierer Caleb mithilfe eines Androiden namens Ava ebenfalls in eine Art Turing-Test verwickelt. Das Experiment, bei dem Caleb jederzeit von Kameras innerhalb eines Anwesens beobachtet wird, soll beweisen, ob es Ava gelingt, Caleb emotional so zu manipulieren, dass er sie anderen Menschen vorzieht. Doch Ava hintergeht letztlich Caleb, um aus der Anlage zu fliehen und lässt ihn zurück. In Ex Machina überzeugt die „Maschine“ also zu ihrem eigenen egoistischen Vorteil und erweist sich gerade deshalb letztlich als sehr „menschlich“, wenn auch im negativen Sinne. Menschlichkeit ist eben kein grundsätzlich nur positives Ideal. 

Im Game The Turing Test, das diese Ambivalenz aus Ex Machina ebenfalls immer wieder aufblitzen lässt, kommuniziert die KI Tom (ähnlich wie der legendäre HAL aus Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum) mit Ava Turing während des Experiments. Er definiert dessen Rahmen, beobachtet und scheint auch den Ablauf zu bestimmen. Beide befinden sich auf einer verlassenen Raumstation im Orbit des Jupitermondes Europa, in der Ava zu Beginn des Games von Tom aufgefordert wird, die Rätselräume zu meistern und mehr über das Verschwinden der Crew herauszufinden. In den sehr stimmungsvoll vertonten Dialogen zwischen Tom und Ava geht es meist dezidiert um das, was sich auf der Basis des Turing-Tests wissenschaftlich entfalten lässt, nämlich Themen wie Freiheit, Determination, Standpunkte der Wissenschaft oder auch Moral. Man nimmt sicher nicht zu viel von der Story vorweg, wenn man angibt, dass The Turing Test neben der Frage, ob eine Maschine bessere (moralische) Entscheidungen als ein Mensch oder gar die Menschheit treffen kann, auch implizit thematisiert, inwiefern wir als Spieler mit der Lösung der Rätselräume selbst dem Konzept eines vermeintlichen spielerischen Turing-Tests folgen.

Bulkheads Puzzle-Game ist daher speziell allen Rätselfreunden zu empfehlen, die sich für eine für Game-Verhältnisse gehörige Prise Wissenschaft interessieren und sich auf spielerische Meta-Ebenen innerhalb eines Gameplays einlassen wollen. Auch wenn Bulkhead an manchen Stellen leider dramaturgisch die letzte Konsequenz ihres „spielbaren Turing-Tests“ vermissen lässt, ist Avas Reise schon aufgrund der Verschränkung aus Thematik und Gameplay einer der spannendsten Titel der letzten Zeit. Wer sich nur auf die gut ausbalancierten, selten frustrierenden Rätsel einlässt, ohne sich tiefer auf die Story sowie vor allem die (Meta-)Dialoge von Tom und Ava zu konzentrieren, bekommt mit The Turing Test einen gelungenen Portal-Klon, der allerdings in seinem Rätseldesign nicht ganz an Portal heranreicht. Doch am besten funktioniert The Turing Test eben dann, wenn man Story und Gameplay im Rahmen der sehr atmosphärischen Inszenierung als zwei Seiten einer Medaille genießt. Mensch und Maschine im Spiel vereint.

The Turing Test ist für Xbox One und PC erhältlich. Einen in das Game einstimmenden Trailer gibt es unter dem Beitrag.

The Turing Test • Bulkhead/Square Enix • Puzzle-Adventure

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