6. Juni 2018 4 Likes

Das Herz eines Androiden

„Detroit: Become Human“: Auf individueller Sci-Fi-Reise

Lesezeit: 5 min.

Seit etlichen Jahren wollen sich Videospiele als eigenständiges Medium profilieren und in manchen Fällen gar als Kunst angesehen werden. Andere Games wollen bloß Zeitvertreib oder Weltenflucht sein. Und wieder andere machen dem Medium Film ihren cineastischen Anspruch streitig. Und manchmal gibt es Kleinode wie Quantic Dreams „Detroit: Become Human“, die versuchen, alles auf einmal zu sein und dabei im Großen und Ganzen sogar erfolgreich sind. Eins vorweg: „Detroit: Become Human“ ist Quantic Dreams größter Erfolg.

In „Detroit: Become Human“ schlüpfen wir in die Rolle dreier separat agierender Androiden, welche wir durch Missgunst, Unglück, Freude und gar eine Revolution an individuell steuerbaren Pfaden entlang führen – die allesamt im verfrühten Tod enden können. Androidin Kara will nach einer Speichersäuberung bloß ihren Job als Hausdame verrichten, gerät dort aber mit dem familiären Kleintyrannen und Vater des jungen Mädchens Alice in die Haare. Nachdem sie ihre Programmierung durchbricht und zum Abweichler wird, begibt sie sich auf die Flucht. Schnüffler-Androide Connor wird damit beauftragt, die sich häufenden Fälle, bei denen Roboter von ihrer Programmierung abweichen, zu untersuchen und eine Ursache zu finden. Dabei wird er mehr oder minder tatkräftig vom mürrischen, fleischlichen Hank Anderson unterstützt, der aber auf internem Kriegsfuß mit den Androiden steht. Und am anderen Ende des Spektrums steht Androide Markus, Vertrauter des Künstlers Carl Manfred, der nach einem Unglück im Hause das Weite sucht und in einer sich anbahnenden Revolte von Robotern Schutz sucht und diese allmählich zu dirigieren beginnt.

Wer mit den Spielen „Fahrenheit“, „Heavy Rain“ oder auch „Beyond: Two Souls“ von Quantic Dream bereits vertraut ist, der weiß, was einen bei „Detroit: Become Human“ erwartet. Kurz gesagt, ein spielbarer Film, bei dem der vielfältige Ablauf dem Spieler überlassen bleibt. Jede noch so kleine Entscheidung kann weitreichende Konsequenzen mit sich bringen und kein Spielverlauf soll dem anderen gleichen. Das Konzept ging in „Heavy Rain“ nur bedingt auf, fruchtet aber vollends in „Detroit“. In den bereits genannten Beispielen von Kara und Alice kann es sogar sein, dass bereits zu Beginn des Spieles Kara das Zeitliche segnet und der gesamte Pfad verloren geht. Ebenso kann die sich im Hause Manfreds ereignende Tragödie verschiedene Ausmaße annehmen und so das Spielerlebnis völlig verändern. Im Falle von Connor behält sich „Detroit“ jedoch eine unheimlich simple aber clevere Karte im Falle eines Ablebens in der Rückhand, auf die die gesamte Welt von „Detroit“ immer wieder reagiert und so die zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflusst. Stirbt Connor, wird er schnurstracks mit einem neuen Modell ersetzt und der alte Memory-Chip eingesetzt, so als wäre nichts gewesen. Das Detroiter Police Department und im Besonderen Connors Partner Hank reagieren darauf allerdings alles andere als bezaubert, was erneut im späteren Verlauf gravierende Veränderungen mit sich bringen kann.


„Das Ablaufdiagramm zeigt gewählte Wege, Optionen und Übergangenes.“

Alle Entscheidungen werden am Ende jedes Kapitels in einem Ablaufdiagramm festgehalten und zeigen dem Spieler den begangenen Weg, während die nicht gewählten Optionen ausgegraut und unkenntlich bleiben. Dadurch wird jedoch deutlich, an welcher Stelle man anders agieren könnte. Und wenn sich hinter jener Zweigstelle ein völlig neuer, großer grauer Entscheidungsbaum mit etlichen Zweigen auftut, fragt man sich, ob man nicht doch anders hätte agieren sollen. Gerade die Ablaufdiagramme erhöhen den Wiederspielwert von „Detroit“ immens.

Viele Interaktionen, besonders in den adrenalingeladenen Sequenzen, spielen sich, wie bei Quantic Dream gewohnt, per Quick-Time-Event ab. Diese sind aber in der 15-stündigen Story im Vergleich zu „Heavy Rain“ spürbar weniger und simpler geworden, selbst auf dem „Experten“-Schwierigkeitsgrad. Für Story-Enthusiasten oder Interessenten, die nicht besonders vertraut mit dem Dualschock-Controller der Playstation 4 sind, gibt es auch einen leichteren Schwierigkeitsgrad.


„Dargestellte Anweisungen auf dem Schirm können – müssen aber nicht – befolgt werden.“

Wer „Detroit“ aber bloß als spielbaren Film abtut, spricht dem Spiel seinen absolut individuellen Reiz ab. Kein Film erreicht je die Intensität, die in „Detroit: Become Human“ steckt. Wenn Connor einen flüchtigen Androiden über Dächer und Gewächshäuser verfolgt und dabei Gefahren ausweicht oder man einfach nur als Markus über einen gespenstischen Schrottplatz schlürft, der aus ausgedienten Robotern besteht, sticht die Adrenalinspritze zu, wie John Travoltas Vince Vega in „Pulp Fiction“. Hinter jeder falschen Bewegung kann der Tod stehen. Das setzt nervlich ganz schön zu, wenn man die lieb gewonnenen Metallköpfe zum Ende ihrer Geschichte begleiten will. Und selbst ruhige Momente, die beherrscht sind von singenden Robotern oder ein sich drehendes Karussell mit einem lachenden Mädchen, sprühen vor Intensität und Atmosphäre, die Gänsehaut erzeugt. Diese dichte Atmosphäre ist vor allem der unglaublich detailgetreuen und liebevoll inszenierten Welt von „Detroit“ zu zuschreiben. Hier zeichnet sich eine Welt der Xenophobie ab, die sich jedoch ihr Schicksal selbst aufgebürdet hat und nicht mehr weiß, wie man damit umgehen soll. Und unter all der Unsicherheit steckt doch ein schlagendes, liebevolles Herz, sei es nun menschlich oder batteriebetrieben.


„Wie auch Markus, steht der Spieler oft vor der Wahl: A, B oder C?“

Es glänzt aber nicht alles in „Detroit“ und die ungeschliffenen Seiten machen sich bemerkbar. Zu Teilen sind nicht alle Dialoge lippensynchron, was den Spieler für kurze Zeit erheblich aus der eindringlichen Welt holen kann und den Effekt der „Uncanny Valley“ verstärkt. Ebenso sind nicht alle der Figuren besonders ausgearbeitet und können etwas eindimensional wirken. Dies ist aber eindeutig dem Spielprinzip geschuldet, welches die Charaktere der einzelnen Androiden je nach Entscheidung stark beeinflussen kann, und somit wird oft ein entweder verwaschenes oder einfach nicht tiefgreifendes Bild der Akteure gezeichnet. Während der englische Sprecher Connors unglaubliche Arbeit leistet und Connor glaubhaft als stoischen, kalkulierenden Ermittler zeigt, wirkt beispielsweise Revolutionär Markus in vereinzelten Direktiven nicht ganz überzeugend, wenn vom großen Traum der Freiheit geredet wird oder eine von Zweifel zerrüttete Seite preisgegeben wird. Bei den deutschen Sprechern sind alle Hauptfiguren mehr oder weniger passend besetzt, leisten aber sehr gute Arbeit. Lediglich die vielen Nebensprecher wirken häufig hölzern oder gar etwas albern. Auch vereinzelte Clippingfehler kamen im Verlauf des Spiels zum Vorschein, die sich jedoch auf zwei Einzelfälle – in leider besonders intensiven Sequenzen – beschränkten, in denen zwei Mal im Griff gehaltene Feuerwaffen in den Handflächen verschwanden oder komplett fehlten.

Was bleibt am Ende übrig? Das bleibt allein dem Spieler überlassen, ebenso wie die Meinung zu „Detroit“ selbst. Rein spielerisch gibt Quantic Dreams neuester Schlag nicht viel her, mit dem gelegentlichen Suchen nach Hinweisen, dabei von A nach B zu laufen und dem zeitigen Drücken von Buttons. Dafür aber nimmt „Detroit“ den Gamer mit auf eine unvergessliche Reise, die von Höhen und Tiefen gezeichnet ist, wie kaum ein anderes virtuelles Medium. „Detroit“ zeigt, wozu das Medium „Videospiele“ im Stande ist und begeistert letztlich auf ganzer Linie. Gerade deshalb sollte auch David Cage, Kopf hinter „Detroit“, nicht bloß als „verquerer Filmregisseur im falschen Medium“ abgetan werden, denn das, was „Detroit“ leistet, wird ein Film in all seiner cineastischen Qualität dennoch nicht erreichen können.

„Detroit: Become Human“ ist seit dem 25. Mai 2018 exklusiv für Playstation 4 erhältlich.

Detroit: Become Human • Quantic Dream • Adventure • Playstation 4

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