8. September 2016 1 Likes

Blut und Löwenzahn

Ken Lius epischer Roman „Die Schwerter von Dara“

Lesezeit: 3 min.

Der in China geborene, seit vielen Jahren in den USA lebende Ken Liu gehört aktuell zweifellos zu den besten Kurzgeschichtenautoren im internationalen Feld der Fantastik. Seine Story-Sammlung „The Paper Menagerie and Other Stories“ verdeutlichte erst Anfang des Jahres noch einmal, wie hoch die Güte seiner zurecht vielfach mit dem Hugo Award, dem Nebula Award, dem World Fantasy Award und anderen Preisen bedachten Erzählungen ist, egal ob diese im Weltall, in einer altchinesisch anmutenden Fantasy-Welt, einer nahen Cyberpunk-Zukunft, einer Alternativwelt des 20. Jahrhunderts oder einer magisch-realistischen Gegenwart angesiedelt sind. Mit „The Grace of Kings“ legte Liu 2015 schließlich sein Romandebüt und ferner den ersten Band seiner „Dandelion Dynastie“-Trilogie vor. Soeben ist die gute deutsche Übersetzung von Katharina Naumann als „Die Schwerter von Dara“ bei Knaur als E-Book und dickes Hardcover erschienen.

Für sein Langstreckendebüt standen dem viel gelobten Kurzstreckenkönig, der in Harvard studierte und noch als Anwalt, Programmierer und Übersetzer tätig ist, diverse Sujets zur Auswahl. Liu entschied sich für epische Fantasy, die sich an chinesischen Mythen orientiert. Dabei sorgen Luftschiffe, Flugdrachen, Unterseeboote und Magnetstein-Metalldetektoren hier und da für Steampunk-Stimmung, obwohl man angesichts des antiken Settings zwischen Bambus und Seide eher von Silkpunk sprechen sollte. So oder so lässt Liu auf über 700 ausladenden Seiten das Inselreich Dara Gestalt annehmen, das von einem tyrannischen Kaiser erobert wurde. Doch eine Rebellion sorgt für Umbrüche und die Geburt großer Helden und Legenden – in diesen Zeiten können selbst ein Bandit und der Nachfahre einer einstmals großen Familie zu Königen und Volkshelden werden. Darüber hinaus mischen sich die streitlustigen, intriganten Götter von Dara in die Kriege und Schlachten um die Inseln ein. Als wären die üblichen politischen Ränkespielchen nicht schon Bedrohung genüg für die Bündnisse und Bande derer, die als Waffenbrüder und Freunde in den Kampf zogen …

Wer sich in Ken Lius Kurzgeschichten verliebt hat, wird ein paar Dinge in „Die Schwerter von Dara“ sofort wiedererkennen: Natürlich das elegante Erzählen in klarer, starker Prosa; die stets in Windeseile superb charakterisierten Figuren; der Hang zu asiatischer Mythologie und das Verständnis für asiatische Mentalität und Geschichte; oder die Fähigkeit, scheinbar mühelos auf wenigen Seiten eine ganze Welt zu erschaffen. Allerdings hat der eröffnende Roman der „Seidenkrieger“-Serie auch ein paar Tücken. So kommt Mr. Liu dem guten George R. R. Martin (im Shop) zwischendurch gefährlich nahe, wenn er in bester „Game of Thrones“-Manier stellenweise nur noch Heere über den riesigen Kartentisch schiebt und immer wieder neue Namen und Figuren aus dem Hut zaubert und von einem militärischen Höhepunkt zum nächsten eilt (witzig übrigens, dass der obligatorische GRRM-Vergleich, der sonst auf jedem Buchumschlag prangt, ausgerechnet hier, wo er angebracht wäre, ausbleibt). Immerhin kommt auf jeden Martin-Moment ein, sagen wir, Gemmell-Moment, in dem Liu es wie der große britische Fantasy-Autor David Gemmell vermag, seinen epischen Konflikt plotmäßig auf die Schultern der Sympathieträger seines Ensembles zu laden (bei der Gelegenheit sollte unbedingt darauf hingewiesen werden, dass Knaur zeitgleich zu „Die Schwerter von Dara“ den ersten Band von Gemmells legendärer „Drenai“-Saga neu aufgelegt hat). Und damit alle drei Fantasy-Meister in diesem Absatz der Vergleiche beisammen sind, sei dann noch festgehalten, dass der 1976 geborene Liu mit seinen metaphorischen Anleihen im Blumenreich bei Löwenzahn, Chrysantheme und Co. immer die richtige Dosierung findet – Entwarnung für alle, denen J. R. R. Tolkiens botanische Exkursionen im „Herrn der Ringe“ das Lesevergnügen vergifteten.

Fans üppiger High-Fantasy-Stoffe bereitet Lius Romandebüt aufgrund seines Traditionsbewusstseins und seines erfrischenden fernöstlichen Touches eine Menge Freude. Alle anderen brauchen immer mal einen langen Atem, aber den hat Liu für das Niederschreiben dieses Wälzers ebenfalls benötigt – und es dann gleich etwas zu gut gemeint und ein paar Schlachten, Listen und Kapitel zu viel eingebaut. Trotzdem spricht am Ende nicht viel dagegen, sich ins Schlachtengetümmel von Dara zu stürzen, wenn man fantastisch-epische Weltkriege mit mehreren Protagonisten mag – und sei es nur, um die erste Buchveröffentlichung des dringend beachtenswerten Ken Liu auf dem deutschen Markt zu würdigen.

Im Oktober erscheint der zweite Band der Trilogie als „The Wall of Storms“ im englischen Original.

Ken Liu: Seidenkrieger Bd. 1: Die Schwerter von Dara • Knaur, München 2016  • 734 Seiten • Hardcover: 19,99 Euro

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.