26. Januar 2017 2 Likes 2

2017 ist 1984

George Orwells Klassiker „1984“ ist dank „Alternativer Fakten“ wieder auf der Amazon-Bestsellerliste

Lesezeit: 2 min.

1984 (im Shop), George Orwells Meisterwerk aus dem Jahr 1949, scheint vielen derzeit durch den Kopf zu gehen, wenn sie die Berichte aus den USA seit Freitag vergangener Woche verfolgen. Einen Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump hatte dessen Pressesprecher Sean Conway den im Weißen Haus versammelten Reportern vorgeworfen, Lügen über die Anzahl der Besucher der Inauguration verbreitet zu haben. „This was the largest audience to ever witness an inauguration – period”, sagte Spicer (das komplette Pressebriefing kann man übrigens hier in englischer Sprache nachlesen). Einen Tag später erklärte Präsidentenberaterin Kellyanne Conway in einem NBC-Interview, diese offensichtlichen Falschaussagen des Pressesprechers seien „alternative Fakten“ gewesen – und schon waren sie da, die Assoziationen zu „Neusprech“ und „Doppeldenk“ und dem „Ministerium für Wahrheit“, das sich mit Lügen beschäftigt.

George Orwell griff in 1984 die Angst vor totalitären Systemen auf, deren ideologisch getränkte Sprache und Ideen jeden Bereich des Lebens durchdrang. Eine der berühmtesten Aussagen des Romans lautet, dass 2 + 2 = 5 ist, wenn die Partei das behauptet. Diesen „alternativen Fakt“ müssen die Menschen in Orwells Dystopie nicht nur nachplappern, sondern unbedingt glauben. Wenn das Ergebnis einmal doch 4 sein muss, ist natürlich auch das die Wahrheit. Linientreue Parteianhänger müssen in 1984 in der Lage sein, zu entscheiden, was wann wahr ist – und das scheint auch für die Anhänger von Donald Trump zu gelten, und zwar nicht erst seit seiner Amtseinführung.

Inwiefern Trump, Conway, Spicer & Co. für die gestiegenen Absatzzahlen des Klassikers verantwortlich sind, sei dahingestellt. Immerhin gehört 1984 hierzulande wie in den USA zu den Schullektüren, und der Roman wird immer wieder mal hervorgeholt, wenn der Überwachungsstaat ein neues Spielzeug bekommt. Bezeichnend ist es diesmal aber doch: Trump gilt, das wird in nahezu jedem Bericht über den Präsidenten wiederholt, in jeder Hinsicht als „unberechenbar“; nicht zuletzt, weil seine Ideologie voller Widersprüche ist. Dagegen wollen sich die Menschen mit 1984 wappnen. Hoffen wir mal, dass das auch gegen die entsprechenden Doppeldenker und Neusprecher in den deutschen Parteien hilft, wenn im September die Bundestagswahl ansteht.

George Orwell: 1984 • Roman • Aus dem Englischen von Michael Walter • Wilhelm Heyne Verlag, München 2002 • Taschenbuch • 400 Seiten • € 8,95 • im Shop

Kommentare

Bild des Benutzers Prokyon

In Deutschland haben wir seit kurzem ein von der Bundesregierung beauftragtes Recherchezentrum "Correctiv", deren linientreue Mitarbeiter entscheiden, was wann wahr ist - wir sind also den USA weit "voraus".

Zu Donald Trump: er scheint doch bis jetzt tatsächlich das umzusetzen, was er im Wahlkampf angekündigt hat, also vielleicht doch nicht so unberechenbar? Und ist Angela Merkel berechenbar (und handelt sie überhaupt wie eine Politikerin), wenn sie auf einer Bundesfraktionssitzung sagt: "Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da" (Quelle: WeLT 27.09.2015), wenn sie das Grundgesetz Art 16a Absatz (2) missachtet, wenn sie den (rechtswidrigen?) Ausstieg aus der Kernenergie aufgrund eines Tsunamis im fernen Asien einleitet, wenn sie die Nichtbeistands-Klausel (auch No-Bailout-Klausel) der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU), die die Haftung der Europäischen Union sowie aller Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedstaaten ausschließt, ignoriert? Und muss man jetzt ihr einfach glauben, wenn sie sagt, dass das alles alternativlos ist?

Ich wappne mich mit 1984 gegen das "Correctiv", gegen den 'Wort/Unwort des Jahres'-Unsinn, gegen eine inzwischen pervertierte Political Correctness, gegen das Geschwätz unserer regierenden Politiker.

Bild des Benutzers Jarvis

In Hinblick auf unsere post- und alternativfaktische Welt empfehle ich dringend "Postdemokratie" von Colin Crouch, "Was ist Populismus" von Jan-Werner Müller uns "Die Akte Trump" von David Cay Johnston!

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