Bandenkrieg am schwarzen Fluss
Dunkle Stadt Bohane: Eine irische Gangster-Geschichte aus dem Jahr 2053
Dieses Buch hat sich etwas länger auf dem Lesestapel versteckt und obendrein als irischer Krimi getarnt, und das mindestens genauso gut, wie der Verlag verschweigt, dass es sich bei „Dunkle Stadt Bohane“ von Kevin Barry eigentlich um einen subtilen Science-Fiction-Roman handelt – immerhin spielt die Geschichte im Jahre 2053. Doch auch der mit dem IMPAC Dublin Literary Award, dem Rooney Prize for Irish Literature, dem Author’s Club Best First Novel Award und dem European Union Prize for Literature ausgezeichnete Roman-Erstling des 1969 im irischen Limerick geborenen Barry enthüllt erst recht spät offiziell (auf Seite 178), dass er in der Zukunft zur Mitte des 21. Jahrhunderts spielt – einer Zukunft obendrein, die sich wie eine verwinkelte, verdorbene irische Vergangenheit anfühlt, die an die verlorene Zeit anknüpft.
Im Zentrum der Geschichte steht die fiktive irische Stadt Bohane, gelegen an jenem aus den Mooren gespeisten, teerschwarzen Fluss, dem sie ihren Namen verdankt. Bohane ist ein irisches Neo-Babylon – eine retrofuturistische Stadt, mit Betonung auf retro, aufgeteilt und beherrscht von königlichen Outlaws, Gangstern, Mördern, Gaunern, Messerstechern, Stiefeltretern und Prostituierten, unterstützt von wilden Zigeunern und wegsehenden Polypen und Politikern; eine von der lokalen Bandenkriminalität geprägte Ansammlung an Schlechtigkeit und krimineller Eleganz im hartwind-gepeitschten Westen und Morgen der Halbinsel; ein von Weltschmerz und Mäkeln durchdrungener Ort, der weitgehend Low-Tech daherkommt, beheizt von Torf und Diesel-Generatoren und Hass und Liebe, mit einer Hochbahn und Straßenlaternen, aber ohne Autos, mit Filmprojektoren und Radios, aber ohne Telefone, mit gemeinen Klingen, aber ohne Schusswaffen.
Da die verschiedenen irischen Dialekte und die an der Aussprache orientierte Zukunfts-Schreibweise einiger Wörter aus dem Original nicht ins Deutsche zu übertragen waren, kommt „Dunkle Stadt Bohane“ in einer aufwendigen Übersetzung von Berhard Robben und einer sperrigen, aber interessanten Kunstsprache mit Rotwelsch-Zungenschlag daher – ein etwas anstrengender, unbestreitbar cooler Slang und individueller Sound. Es wäre wirklich schade gewesen, dem deutschsprachigen Leser wegen der lokalen Barriere dieses Werk vorzuenthalten, das von Mr. Barrys Portugal-Urlaub und seiner irischen Seele ebenso inspiriert wurde wie von diversen HBO-Serien zwischen Deadwood und The Wire, den Autoren Anthony Burgess, James Joyce und Cormac McCarthy sowie den Love and Rockets-Comics der Gebrüder Hernandez.
„Dunkle Stadt Bohane“ ist unterm Strich sicherlich mehr urbaner Bandenkrieg und sprachgewaltiger Kunstkrimi als typische Science-Fiction. Dennoch stellt die ganz schön literarische Gangsterstory aus der irischen Gagatown der Ganoven des Jahres 2053 ein ungewöhnliches bis außergewöhnliches Lesevergnügen dar.
Kevin Barry: Dunkle Stadt Bohane • Tropen, Stuttgart 2015 • 304 Seiten • € 19,95
Kommentare
Das liest sich sehr interessant, danke für den Tipp!