17. Mai 2014

Bienen des Untergangs

Nick Harkaways neuer Roman „Der goldene Schwarm“

Lesezeit: 3 min.

2008 legte Nick Harkaway mit „The Gone Away World“ (dt. „Die gelöschte Welt“, 2009) sein Romandebüt unter dieser schriftstellerischen Identität vor. Der vierte Sohn von Autor John Le Carré („Der Spion, der aus der Kälte kam“) packte in sein postapokalyptisches Epos alles hinein, was ihm beim Brainstorming so in den Sinn gekommen ist, und überwältigte die Leser mit seiner in Breite und Tiefe ausgedehnten Endzeit-Vision, die vor Einfällen und Elementen aus allen Nähten platzte. Das war zwischendurch fast schon unangenehm ausschweifend, üppig und oft auch mühsam, aber im Grunde auch eine willkommene Abwechslung. Nun ist Harkaways zweiter Roman „Angelmaker“ als „Der goldene Schwarm“ bei Knaus auf Deutsch erschienen, und der Untergang der Welt spielt erneut eine Rolle – wenn auch auf völlig andere Weise.

Joe Spork, Uhrmacher- und Feinmechaniker-Genie sowie Sohn eines berüchtigten Londoner Gangsterfürsten, führt ein anständiges Leben, das man beinahe als anachronistisch bezeichnen könnte, mit seiner antiken Profession, seiner an eine ehrwürdige Unterwelt gekoppelten Vergangenheit und seinem um ein altes Themse-Viertel kreisenden Bewegungsradius. Doch ob zeitgemäß oder nicht: Joes Leben wird komplett auf den Kopf gestellt, als er dazu verleitet wird, eine alte, komplizierte Weltuntergangsmaschine in Gang zu setzen, die mechanische Bienen in die Welt entsendet, deren Fähigkeit es ist, den Menschen die ungeschminkte Wahrheit zu zeigen und durch die darauffolgenden Reaktionen so alle zu Engeln zu machen – auf die entsetzliche, endgültige, mausetote Art.

Das hetzt Joe alle möglichen seltsamen und gefährlichen Gestalten auf den Hals, die etwas mit dem genialen Apparat der vernichtenden Erkenntnis verbindet: Zu allem entschlossene Regierungs-Agenten, einen Serienkiller, ebenso eifernde wie tödliche Mönche einer anderen handwerklichen Ordnung der Dinge, und Edie Banister, eine neunzigjährige Ex-Superspionin im Dienste Ihrer Majestät, deren Werdegang genauso Teil von Harkaways Wälzer ist wie Joe Sporks aus den Fugen geratendes Leben, das nicht einmal der geschickte Über-Anwalt der Gaunerfamilie und seine traumhafte Assistentin zusammenhalten können, sobald die Zahnräder der Weltuntergangsmaschine und des Schicksals erst einmal in Bewegung gesetzt sind…

Der 1972 geborene Nicholas Cornwell, der im Cambridge Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft studierte, u. a. als Drehbuchautor gearbeitet hat und selbst in London lebt, kommt in seinem zweiten seitenstarken Roman unter dem Nick-Harkaway-Pseudonym als konzentrierter Müßiggänger daher. Er spaziert und flaniert durch die Leben und Gedanken seiner Figuren, nimmt sich Zeit und Raum, sie zu entwickeln und zu positionieren, ihre Wege nachzuzeichnen und in detailfreudigen Rückblenden zu verfolgen. Seine auf jeder Seite spürbare Freude am Fabulieren und Charakterisieren ist sehr sympathisch und vor allem weit weniger anstrengend als in „Die gelöschte Welt“, was sicherlich damit zu tun hat, dass er sich nur noch selten in den Schichten und Einzelheiten seiner Geschichte verliert. „Der goldene Schwarm“ ist ein dickes Buch geworden – und dabei ein leckerer, pappsatt machender Eintopf.

Die Story und ihr Ton erinnern ein wenig an Matt Ruff und China Miéville (zwei seiner Romane hier im Shop), wenn man die schweren Vergleichsgeschütze auffahren möchte, und hier und da blitzt sogar etwas durch, das an den großen Menschenkenner Sir Terry Pratchett erinnert, wenn dieser das Wesen der Menschen entschlüsselt. Überhaupt ist die Geschichte von Uhrmacher/Gangster-Nachfahre Joe Spork und Geheimagenten-Rentnerin Edie Banister very british. William Gibson (mehrere seiner Bücher hier im Shop), den man im Grunde gar nicht oft genug zitieren kann, beschreibt das Buch indes als „eine unterhaltsame und aufregende Geschichte über Technologie und Moral […] Eine Mischung aus Dickens und Mervyn Peake […] im besten Sinne aufregend und weird“.

Mehr ist dem hinsichtlich einer Empfehlung für diesen opulenten britischen Genre-Mix, für dessen lohnenswerte Lektüre man allerdings schon ein bisschen Zeit und Geduld mitbringen muss, nicht hinzuzufügen.

Nick Harkaway: Der goldene Schwarm • Knaus, München 2014 • 608 Seiten • € 19,99

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.