21. Januar 2022 2 Likes

„Der letzte Weg“ von Eve Smith

Ein dystopischer Zukunftsroman über eine alles verändernde Antibiotika-Krise

Lesezeit: 3 min.

Bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete, war die Engländerin Eve Smith in Asien, Amerika und Afrika für eine Umweltorganisation tätig. Ihr gefällig komponiertes und einfühlsam geschriebenes Science-Fiction-Romandebüt „Der letzte Weg“ (im Shop), das noch vor der Corona-Pandemie entstand und im Original bereits 2020 veröffentlicht wurde, ist eine interessante, hochaktuelle Lektüre. Für den Anfang allerdings eine Trigger-Warnung: Wer gerade einen Menschen verloren hat oder durch den belastenden Themenkomplex um Intensivstation, Patientenverfügung und vielleicht sogar Sterbehilfe traumatisiert ist, könnte von „Der letzte Weg“ heftig getriggert und aus dem Gleichgewicht gebracht werden.

Denn Smith beschreibt auf zwar keineswegs effekthascherische, aber eben doch eindringliche Weise eine Zukunft, die von einer Antibiotika-Krise getroffen wurde. Nur noch wenige Medikamente helfen gegen die mutierten, resistent gewordenen Keime, und eine Versorgung aller Menschen ist selbst in einer modernen Großstadt wie London unmöglich. Deshalb mussten Gesetze verabschiedet werden, laut denen Menschen ab einem Alter von 70 Jahren nicht mehr behandelt werden. In Krankenhäusern spielen sich regelmäßig Dramen mit wütenden Angehörigen ab, und ältere Menschen fürchten sich im Pflegeheim vor jeder Erkältung und jedem Sturz. Kate arbeitet in einem Krankenhaus und pflegt diejenigen, die noch behandelt werden dürfen – und begleitet jene, bei denen das nicht mehr erlaubt und möglich ist, auf ihrem letzten Weg sowie dessen Einleitung durch einen Trunk. Während im London von Morgen wütende Proteste und selbst hässlicher Terrorismus zum Alltag gehören, wird Kate jedoch auch noch durch ein persönliches Problem belastet. Sie will nämlich nach all den Jahren ihre leibliche Mutter finden, die sie direkt nach der Geburt zur Adoption freigegeben hat. Kates Suche führt in die fast 30 Jahre zurückliegende Vergangenheit und bis nach Südafrika – und zu einem schrecklichen, gefährlichen Geheimnis über den Ist-Zustand der künftigen Welt …


Eve Smith. Foto © privat

Von der Gefahr, die antibiotika-resistente Erreger darstellen, haben wir alle schon gelesen oder gehört. Davon, was das für die moderne Medizin und Gesellschaft bedeuten würde, und wie schnell diese Katastrophe eintreten könnte. Wie kurz wir womöglich nur davor stehen. Was die Machtlosigkeit im Angesicht eines ungebremst wütenden Virus bedeutet, können wir uns nach zwei Jahren mit Corona ziemlich genau vorstellen. Selbst die als Triage bezeichnete Auswahl, um welche Menschenleben man bei einer Überbelastung des Krankenhaussystems kämpfen wird, und wer aufgrund aller zu berücksichtigender Faktoren aufgegeben werden muss, ist wegen Corona plötzlich viel präsenter. Eve Smith’ „Der letzte Weg“ trifft also definitiv mehr als einen Nerv. Dabei ist das Buch eine medizinische und gesellschaftliche Dystopie, die nicht den reißerischen Standard-Szenarien oder dem üblichen Vokabular des Genres folgt. Zusammen mit unseren pandemischen Erfahrungen macht das diesen Roman zu einer eindringlichen Lektüre, sein Setting zu einer brutal realistischen und fühlbaren Schreckensvision. Eve Smith variiert die Tropen also interessant und bietet sowohl Lesenden aus dem Mainstream als auch erfahrenen Genre-Fans eine beeindruckende, beklemmende Lektüre.

Im englischsprachigen Original erscheint in Kürze übrigens schon Smith’ nächster, thematisch und gedanklich vermutlich ähnlich provokativer Zukunftsthriller „Off Target“, in dem es um grenzenlose Gentechnik und so genannte „Designer-Babys“ gehen wird.

Eve Smith: Der letzte Weg • Roman • Aus dem Englischen von Beate Brammertz • Wilhelm Heyne Verlag • 448 Seiten • Erhältlich als Paperback und E-Book • Preis des Paperbacks: € 15,– (im Shop)

[bookpreview] 978-3-453-32169-4

 

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