29. April 2020 1 Likes

Galaktische Gruftmaiden

Tamsyn Muirs Romandebüt „Ich bin Gideon“

Lesezeit: 3 min.

Die schnoddrige Kriegerin Gideon Nav lebt im Inneren des morbiden neunten Planeten, der zum Imperium gehört und von der sadistischen Nekromanten-Prinzessin Harrowhark Nonagesimus beherrscht wird. Die lässt dort im wahrsten Sinne des Wortes die reanimierten Skelette wie ihre Diener tanzen und nutzt die Gebeine der Toten sowie ihr eigenes royales Blut für ihre dunkle, machtvolle Magie. Gideon will nur weg von diesem schrecklichen, düsteren Ort, an dem sie von Harrowhark eingespannt und traktiert wird, doch all ihre Fluchtversuche scheitern. Dann erhält Gideons gestrenge Herrin, die Wächterin der Verschlossenen Gruft, eine unerwartete Einladung: Sie und ihr Schwertmeister sollen sich mit den Nekromanten und Kavalieren der sieben anderen Häuser auf dem ersten Planeten treffen. Im verfallenden Schloss des Imperators, das vor verborgenen Türen, Geheimnissen, alten Laboren und vielfältigen Schrecken wimmelt, soll der Nachfolger auf den würdevollsten Posten im Dienst des Imperators ermittelt werden. Die fähige Kämpferin Gideon begleitet Harrowhark widerwillig als Champion. Zwischen undurchsichtigen Konkurrenten, finsterer Totenmagie, grausamen Morden und sexuellen Spannungen erkennen Harrowhark und Gideon irgendwann, dass sie ihren lange kultivierten Hass aufeinander überwinden müssen, wenn sie überleben und weiterkommen wollen …


Tamsyn Muir. Foto © Vicki Bailey/VHB Photography

Tamsyn Muir, die 1985 in Neuseeland geboren wurde und heute im englischen Oxford lebt, startete ihre Autorenkarriere mit Kurzgeschichten und Novellen, die ihr z. B. Nominierungen für den Nebula, den World Fantasy Award und den Shirley Jackson Award einbrachten. Ihr Romandebüt „Ich bin Gideon“ (im Shop), den Auftakt einer Trilogie, feierten nun Genre-Größen wie Charles Stross, Warren Ellis, Annalee Newitz oder V. E. Schwab. Kein Wunder: Muirs Roman ist trotz der ganzen Leichen und Skelette absolut lebendig und frisch. In ihrer frischen, stimmungsvollen Weltenschöpfung vermengt Muir auf unkonventionelle Weise Science-Fiction, Fantasy und Horror. Über lesbische Nekromantinnen und Schwertkämpferinnen, die aus Raumschiffen steigen und in einem riesigen alten Spukschloss in Herzen ihres bröckelnden Imperiums um einen ruhmreichen Posten kämpfen und dabei mitunter in postzivilisatorisch anmutenden Labors auf allerhand Gräuel treffen, hat man noch nicht so oft gelesen. Auch versteht Muir es, herrlich kratzige und giftige Wortwechsel zwischen ihren handlungstragenden Gruftmaiden Gideon und Harrow zu schreiben, denen man als Leser grinsend wie ein Totenschädel folgt.

Figuren und Ambiente überzeugen also, und der Plot wird unterwegs immer spannender und straffer. Allerdings ist selbst Tamsyn Muir der reichhaltigen Pracht ihres düster dekorierten Settings gegenüber nicht ganz immun: Zwischendurch verliert sie sich ein bisschen zu bereitwillig in detailverliebten Beschreibungen, und das kann schon mal zu Lasten des Tempos und des Drives gehen. Doch wer hat, der hat eben auch, und sollte zeigen – und „Ich bin Gideon“ hat eine Menge, das man in dieser Kombination noch nie gesehen hat und das man an der Seite denkwürdig kantiger und komplexer Hauptfiguren fasziniert erkundet. Denn hinter der Totenmaske von „Ich bin Gideon“ verbirgt sich einer der originellsten Genre-Romane der letzten Jahre.

Tamsyn Muir: Ich bin Gideon • Aus dem Englischen von Kirsten Borchardt • Heyne, München 2020 • 605 Seiten • E-Book: 11,99 Euro (im Shop)

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