20. Juni 2013 1 Likes

Asteroid im Anflug

„Himmelsschatten“ von David S. Goyer & Michael Cassutt

Lesezeit: 4 min.

Auf diesen Roman freute ich mich wie jemand, dem der Magen knurrt und der durchs Restaurantfenster ein saftiges Steak betrachtet – handelt es sich bei David S. Goyer und Michael Cassutts „Himmelsschatten” (im Shop ansehen) immerhin um die Drehbuchautoren von Batman und The Twilight Zone. Die Grundgeschichte klang recht solide, wenngleich sie erkennbar von großen Science-Fiction-Werken wie »Rendezvous mit Rama« (im Shop) von Arthur C. Clarke, »Äon« von Greg Bear (im Shop) oder »Himmelssturz« von Alastair Reynolds abkupfert: 2019 kehren die USA in den Weltraum zurück und landen auf dem Asteroiden Keanu. Ihr Raumschiff Destiny 7 unter dem Kommando von Zack Stewart bekommt jedoch Konkurrenz von einem russisch-indisch-brasilianischen Konsortium, welches das Raumschiff Brahma mit demselben Ziel losschickt. So weit, so gut.



Dann jedoch, nach etwa fünfzig Seiten, schlichen sich Zweifel ein. Dass ein Asteroid ausgerechnet nach dem Schauspieler Keanu Reeves benannt wird, ist zwar unglaubwürdig, aber lässt sich noch als Augenzwinkern der beiden Drehbuchautoren verstehen. Was jedoch schwerer wog: Statt des erhofften originellen Romans las ich eine Geschichte, wie sie sehr ähnlich in der SF schon Hunderte Male erzählt wurde – vor allem in den 1950er- und 80er-Jahren, als Raumschiffkapitäne noch »ganze Männer« waren und auf fremden Himmelskörpern bedrohliche, maschinenartige Wesen in dunklen Kavernen lauerten. Meinten die beiden Autoren das wirklich ernst, oder kam da noch etwas?

Es folgte zumindest eine interessante SF-Idee: Außerirdische könnten die in der Erdatmosphäre auf Quantenbasis »gespeicherten« biologischen und neurologischen Informationen aller Menschen lesen und auf nachgezüchtete menschliche Körper übertragen. Daher tauchen auf dem geheimnisvollen Asteroiden plötzlich Wiedergänger von Verstorbenen auf, darunter auch die Frau von Commander Stewart. Was jedoch etwa in Stanisław Lems »Solaris« Grundlage für philosophische und dennoch mitreißende Überlegungen war, verpufft hier zu einer Variante des Zombie-Vampir-Klon-Mythos; schnell wird den Wiederauferstandenen von der Crew die Bezeichnung »Revenants« gegeben, was bewusst an Schauerliteratur von »Gothic« bis Resident Evil gemahnt und in der (bereits geplanten) Verfilmung sicherlich ein junges Blockbuster-Publikum ansprechen soll.

Wenn die Geschichte wenigstens spannend geschrieben wäre. Doch die dürftige und vorhersehbare Handlung auf Keanu wird – wohl um sie künstlich auszudehnen – immer wieder unterbrochen von quälend uninteressanten Einschüben persönlicher Erinnerungen der Protagonisten. Zusätzlich wird immer ab und zu ins Kommandozentrum auf der Erde gewechselt, wo sich das eindimensional gezeichnete Personal bis hinauf zum Chef darauf beschränkt, besorgt dreinzuschauen, Formalia zu bewältigen und ein paar Tipps zur Navigation zu geben. Niemand, der eine »echte« Biografie hätte oder das Mitgefühl des Lesers erregen würde. Selbst die auf der Erde zurückgebliebene Tochter von Zack Stewart gerät zum Klischeebild einer dauernervenden, selbstgefälligen, pubertierenden Jugendlichen – die sich (wie das in »großem Kino« halt so ist) im Verlauf der gefährlichen Handlung wieder ihrem Vater zuwendet.

Auf dem Asteroiden wiederum ist die Charakterzeichnung auch nicht stärker, ja manchmal sogar unlogisch. So wird der unverschämt als klassischer Sidekick gezeichnete Raumschiffpilot »Pogo« Downey, nachdem ein Alien-Wächter ihn in Stücke riss, wieder zum Leben erweckt und – ohne dass man die Gründe nachvollziehen könnte – zum Mörder, der nicht nur frappant an Figuren in Filmen wie Event Horizon und Prometheus erinnert, sondern in einer Verkettung unglaubwürdiger Umstände gar das Raumschiff zur Explosion bringt (denn es führte natürlich, wie in Stargate, eine Atombombe mit sich – warum auch immer).

Erstaunlich auch, wie subtil und dennoch strikt eingeplant die beiden Autoren jegliches Element vermeiden, das »politisch unkorrekt« sein könnte. Die Russen und Inder konkurrieren zwar, sind aber nett; keinem Land wird auf die Zehen gestiegen; Frauen ordnen sich Männern ohne viel Aufhebens unter; keine Ethnie wird böse oder abartig dargestellt; böse sind nur die Maschinen und die Wiedergänger (klar, die haben ja offensichtlich ihre gottgegebene Seele verloren).

Das Schlimmste kam jedoch zum Schluss: Nachdem ich mich auf der Suche nach einem Sinn durch die Seiten gequält hatte (von denen man auch problemlos mehrere überspringen kann), mündete die Geschichte in einen eiskalten Cliffhanger, der keinen der begonnenen Handlungsfäden beendet, sondern einfach nur drauf verweist, wie es weitergehen wird: Weitere Menschen landen auf Keanu und werden in zwei Folgebänden wohl herausfinden, wer dessen mysteriöse Erbauer sind und was sie mit der Menschheit vorhaben. Zweifelsohne wird das nach Hollywood-Manier (erwähnte ich, dass David Goyer auch Regie führen wird?) einen Großangriff auf die Erde nach sich ziehen, der selbstverständlich vom Helden Zack Stewart und seiner Tochter gewonnen wird und schließlich alle glücklich wiedervereint in ihre Heimat zurückbringt. Aber vielleicht steigern sich die Nachfolger ja noch, lassen wir uns überraschen.

David S. Goyer, Michael Cassutt: Himmelsschatten · Roman · Aus dem Amerikanischen von Ingrid Herrmann-Nytko · Wilhelm Heyne Verlag, München 2012 · 638 Seiten · € 8,99 (E-Book – im Shop ansehen)

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