25. Februar 2025

James Coreys „Die Gnade der Götter“

Der fulminante Auftakt zur neuen Trilogie vom „The Expanse“-Autorenduo

Lesezeit: 4 min.

Manche Probleme erscheinen rückblickend unbedeutend. Eben noch war die größte Sorge einer Gruppe Wissenschaftler:innen, wie sie trotz aller Intrigen als Team weiter zusammenarbeiten können, schon erscheinen unbekannte Raumschiffe am Horizont von Anjin. Außerirdische sind in die Umlaufbahn des Planeten eingedrungen – und sie kommen nicht in Frieden: Kurzerhand ermorden sie ein Achtel der Bevölkerung und entführen hohe Persönlichkeiten aus Forschung und Verwaltung. An ihrem neuen Bestimmungsort angekommen sollen sie sich für ihre neuen Herren, den Carryx, als nützlich erweisen. Nur so könne ihre Spezies überleben. Und so ist es an einer Gruppe von Biolog:innen, die Menschheit mit allen Mitteln zu retten.

Nach dem Ende ihrer The Expanse“-Reihe (im Shop) war es etwas ruhiger geworden um Daniel Abraham und Ty Franck, die ihr Opus magnum unter dem Pseudonym James Corey (im Shop) verfasst haben. Nach elf Jahren, neun Romanen und knapp 500 Seiten an Kurzgeschichten war 2022 vorerst Schluss mit den Ausflügen ins All. Dorthin kehren die beiden nun mit einer neuen Trilogie über Imperialismus, Krieg und Frieden zurück. Herausgekommen ist jedoch keine klassische, temporeich erzählte Space Opera, sondern ein erfrischend anderer, wenn auch nicht minder beeindruckender Auftaktband.

Eines vorweg: Die Gnade der Götter. The Captive’s War“ (im Shop) ist kein Actionfeuerwerk, auch wenn eine der Heldinnen der Geschichte ordentlich austeilen kann. Die Protagonist:innen arbeiten an der Universität und leben für ihre Profession, punkten also durch andere Stärken. Wenn es keine oder nur sehr wenige actionreiche Abschnitte gibt, worauf konzentriert sich das Autorenduo dann? Auf Menschen, die in einer Extremsituation überleben müssen – und das häufig auf kleinstem oder beengten Raum. In dieser Hinsicht ist der Roman über weite Strecken eine anthropologische Betrachtung in Form eines Sci-Fi-Kammerspiels. Im Mittelpunkt steht die Forschungsgruppe von Tonner Freis. Ihm zur Seite stehen seine Stellvertreterin und Geliebte Else Yannin, die jungen Assistent:innen Dafyd Alkhor und Irinna, die erfahreneren Wissenschaftler:innen Jessyn Kaul, Campar und Rickar Daumatin sowie das ältere Ehepaar Synnia und Nöl. Neun intelligente Köpfer, die unterschiedlicher nicht sein könnten, deren Ängste, Sorgen, Träume und Wünsche die Leser:innen im Verlauf der 480 Seiten näher kennenlernen.

Die Zusammenarbeit der Kolleg:innen steht allerdings unter keinem guten Stern. Bereits auf Anjin hatten die Forscher:innen erfahren, dass Rickar Teil einer Intrige war, die die Gruppe auseinandergerissen und ihm selbst einen höheren Posten verschafft hätte. Nach der Invasion wird er zum Außenseiter, während Synnia um ihren ermordeten Mann trauert und sich Jessyn Gedanken über ihren nachlassenden Medikamentenvorrat macht. Ohne die Medizin oder die beruhigende Art ihres Bruders Jellit droht ihr Kopf, sie im Stich zu lassen. Und Else? Auch sie ist nicht ganz sie selbst – und geht eine leidenschaftliche Affäre mit Dafyd ein. Er wiederum versucht, hinter den eigentlichen Plan der Carryx zu kommen.


Daniel Abraham & Ty Franck. Foto © Liza TrombiLocus

Trotz seines Spürsinns lassen sich die Aliens nicht so leicht durchschauen. Was die Menschen in ihrem Quartier lernen, ist, dass ihre neuen Herren auf ihren Eroberungsfeldzügen andere Welten und Spezies sammeln, wie unsereins Briefmarken, Münzen oder Pokémon-Karten. Jedoch: Kost und Logis sind in diesem offenen Gefängnis nicht gratis. Jede der darin versammelten sogenannten Minderheiten muss sich in den Augen der Carryx als nützlich erweisen. Wie sie das Ziel erreichen – und ob dabei auch unlautere Mittel eingesetzt werden dürfen – lassen die Überwacher jedoch offen. Also forschen Tonner, Dafyd und Co. zunächst brav weiter, müssen aber bald erkennen, dass weniger friedliche Gefangene auch zu Waffen greifen, um den Neuankömmlingen einen Schritt voraus zu sein.

Was die Gruppe jedoch nicht ahnt, erfahren Leser:innen schon recht früh: Die Carryx sind nicht die einzige kampferprobte Macht im Universum. Sie befinden sich seit langem in einem Krieg mit einer nicht näher beschriebenen Fraktion, die uns im Form des „Schwarms“ begegnet. Der soll eigentlich nur den Feind ausspionierten, lernt in seinen Wirtskörpern aber nach und nach, was den Menschen zum Menschen macht – und warum Gefühle wie Liebe und Hass die vermutlich stärkste Kraft im Universum sind.

Mit „Die Gnade der Götter. The Captive’s War“ legen Daniel Abraham und Ty Franck aka James Corey einen spannenden, wenn auch ungewöhnlichen Sci-Fi-Thriller vor. Was als Wissenschaftsdrama beginnt entwickelt sich zu einem Kammerspiel und Gefängnisroman, in dessen Verlauf nicht nur das Überleben der Held:innen, sondern der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht. Am Ende haben sich alle Figuren auf dem außerirdischen Spielfeld neu positioniert, sind die Karten neu gemischt, ist die nächste Konfrontation zwischen den Parteien nur einen Zug entfernt. Wann es weitergeht? Hoffentlich bald.

James Corey: Die Gnade der Götter. The Captive’s War • Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski • Heyne, München, 2024 • 480 Seiten • Erhältlich als Hardcover, eBook und Hörbuchdownload • Preis des Hardcovers: 24,00 € • im Shop

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