22. Juni 2020 2 Likes

(K)Ein Sequel

Tom Hillenbrands „Qube“

Lesezeit: 3 min.

London, 2091. Investigativjournalist Calvary Doyle ist einer großen Geschichte auf der Spur – und wird deshalb fast ermordet. Schon während seiner Recherche gelangte er ins Visier der UNANPAI, der UN-Organisation gegen die Verbreitung von künstlicher Intelligenz. Auch sie interessiert, wer auf Doyle schießen ließ und ihn damit um seine Erinnerungen gebracht hat. Ist er vielleicht dahinter gekommen, was es mit dem zweiten Turing-Vorfall auf sich hatte? Hat er gar eine aktive KI entdeckt? UNO-Agentin Fran Bittner ermittelt – und findet sich alsbald im All und in einem tödlichen Spiel wieder.

Nichts ist schöner als eine Geschichte, die begeistert, als ein Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen möchte. Mit seinen bisherigen Science Fiction-Thrillern „Drohnenland“ und „Hologrammatica“ hat Tom Hillenbrand zwei fantastische Erzählungen verfasst, die in einer nicht allzu fernen Zukunft spielen. Doch irgendwie fehlte am Ende der mehreren hundert Seiten starken Bücher dann doch etwas. Zwar hatte Aart van der Westerhuizen zum Schluss einen Mörder gefunden und Galahad Singh das Rätsel um Juliette Perottes Verschwinden gelöst. Nach dem Lesen blieb aber dieses dumpfe Gefühl, dass hinter den Geschehnissen mehr steckt und die Geschichte hier nicht ihr Ende fand, sondern erst ihren Anfang nahm. „Qube“ ist der Beweis, dass es – wie die Unterzeile verrät – noch mehr „aus der Welt der Hologrammatica“ zu erzählen gibt. Obacht: Wer „Hologrammatica“ noch nicht gelesen hat, sollte dies schleunigst nachholen, denn ohne Spoiler ist eine Rezension zum Nachfolgeband nicht möglich.

„Qube“ spielt ungefähr drei Jahre nach „Hologrammatica“, nachdem Galahad auf einer einsamen Insel die Bekanntschaft mit Aether gemacht hat, einer KI, die sich selbst Nemo nennt. Damals gelang es ihm, Nemo vor der UNANPAI zu verstecken. Heldin wider Willen ist nun seine Affäre Fran Bittner, eine der interessantesten Nebenfiguren aus „Hologrammatica“. Denn die UNO-Agentin ist ein „Quant“, hat also ihr Gehirn durch einen Miniaturquantencomputer ersetzen lassen. Dadurch kann Fran beliebig oft ihre Identität und ihr Geschlecht ändern. Dank Klonkörper ist sie mal ein Gentleman alter Schule, mal ein verführerischer Vamp. Die Sache hat nur einen Harken: Verlässt sie ihren Stammkörper für eine längere Zeit, droht der „Braincrash“ und somit der Tod. Dieses „Ein-Körper-Problem“ aus „Hologrammatica“ hatte Perotte einst gelöst und für sich genutzt. Nun ist ein anderer daran interessiert, ewiges Leben zu erlangen: der mehrfache Milliardär Clifford Torus. Der hat etwas in seine Hände bekommen, an dem nicht nur UNANPAI ein großes Interesse hat.


Tom Hillenbrand

Nach nur wenigen Kapiteln findet man sich wieder in der Welt von „Hologrammatica“. Immer noch ist es auf der Erde viel zu heiß, immer noch verdecken Hologramme den Blick aufs Wesentliche, immer noch versuchen einige Wenige, hinter die Geheimnisse um die KI Aether zu gelangen. Hillenbrand ist der fast nahtlose Übergang zwischen den beiden Romanen vollauf gelungen. Je weiter die Geschichte jedoch voranschreitet, desto deutlicher wird, dass „Qube“ eben kein klassisches „Sequel“ oder der Mittelteil einer Trilogie ist, sondern seine eigene Geschichte erzählt. Weder Perottes Weiterleben als Kieselkaiserin, noch Galahads anderweitige Nachforschungen werden hier beleuchtet, da Fran beides unbekannt ist. Das erhoffte Wiedersehen bleibt also aus. Dennoch spielt auch in „Qube“ neben dem „Ein-Körper-Problem“ die „Deather“-Szene wieder eine Rolle.

Davon abgesehen nimmt sich Hillenbrand aber auch die Zeit, seine Leser mit neuen Facetten aus dem ausgehenden 21. Jahrhunderts bekannt zu machen. Dieses Mal steht die Unterhaltungsindustrie im Fokus, genauer gesagt die neuen Gamer. Im Jahr 2091 frönt man entweder ausgefeilten und aufwendig animierten Strategiespielen, oder verausgabt sich in fordernden VR-Parcours, die einen schnell aus der Puste bringen. Letzteres ist die Passion von Persia, die schließlich an einem Turnier des exzentrischen Midas More teilnehmen darf. Dort erhofft sich auch Clifford Torus die Möglichkeit, seinen Schatz endlich einzusetzen. Neben Fran, Clifford und Persia gibt es aber noch eine weitere Erzählebene, die in einer mittelalterlich anmutenden Welt spielt. Worum es sich hierbei handelt, sei an dieser Stelle aber nicht verraten.

„Qube“ ist wie schon „Hologrammatica“ ein faszinierender und verspielter Science Fiction-Roman. Der spannende Thriller ergänzt wunderbar den Auftaktband. Er ist jedoch kein klassisches Sequel, sondern eben eine – von hoffentlich noch vielen – Geschichten aus der Welt der Hologrammatica. Obwohl auch in „Qube“ der Fall wieder gelöst ist, bleiben doch viele Fragen offen und endet der Roman mit einem fiesen Cliffhanger. Da muss wohl jemand eine genauso lesenswerte Fortsetzung schreiben.

Tom Hillenbrand: Qube • KiWi, Köln, 2020 • 560 Seiten • 12,00 € • Auf seinem Twitch-Kanal liest Hillenbrand regelmäßig aus seinen Werken.

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