20. Februar 2024

„Red Team Blues“ von Cory Doctorow

Ein Cyberthriller über Finanzforensik, Kryptowährungen, schmutziges Geld und mehr

Lesezeit: 3 min.

Unsere durch-digitalisierte Moderne ist ein komplizierter, bisweilen gefährlicher Ort, mit Fallen und Tücken, über die wir manchmal nicht einmal nachdenken. Gut, dass IT-Experte, Copyright-Aktivist und Science-Fiction-Autor Cory Doctorow (im Shop) uns die „schöne neue Welt“ seit vielen Jahren verlässlich erklärt, dass er aufzeigt und anmahnt. Marty Hench, Mr. Doctorows neuester literarischer Protagonist aus dem gerade erschienenen Roman Red Team Blues“ (im Shop), ist den meisten von uns in dieser Hinsicht mehr als einen Schritt voraus: Der 67-jährige Finanzforensiker gilt als Veteran im Kosmos der Start-ups, der Offshore-Konten, der Kryptowährungen und der Sicherheitsschlüssel, egal ob Hardware oder Software. Dabei hat der Pionier digitaler Finanzermittlungen all die Jahre im Game zwischen Big Data und Big Money, Technik- und Geldfreaks ausnahmslos für das Rote Team gespielt und somit stets angegriffen und überführt, und nicht wie das Blaue Team versteckt, gesichert und verteidigt.

Im ersten Cyber-Krimi mit Marty als Ich-Erzähler hilft er einem reichen alten Freund aus dem Silicon Valley. Dem wurde eben ein super-wertvoller, super-gefährlicher Security-Key gestohlen, was nicht nur sein riesiges Blockchain-Imperium gefährdet, sondern die Sicherheit vieler, vieler ahnungsloser User, die sich auf die größten Firmen und Anbieter und deren Schlüssel in den Systemtiefen verlassen. Marty soll den Schaden eingrenzen, falls das noch möglich ist, und forscht nach, was den Einbruch, den Diebstahl, die Dimension des Problems und des Verlusts angeht. Dann stolpert er über ein paar Leichen, und das bringt Martys Ruhestandspläne ganz schön durcheinander. Denn in der labyrinthischen digitalen Finanzwelt sind finstere Typen und ruchlose Kriminelle unterwegs, und alle haben eine Menge zu verlieren. Plötzlich muss Martin, Ikone des attackierenden, Schwachstellen und Fehler findenden, Jagd machenden Roten Teams, in die Defensive – und erkennen, dass er auf einmal zum abwehrenden, gejagten Blauen Team gehört …


Cory Doctorow. Foto © Jonathan Worth

Wer Cory Doctorows viel gelobte, viel gelesene „Little Brother“-Romane (im Shop) geliebt hat und immer wieder gerne liest, empfiehlt, verschenkt, wird auch bei der kurzweiligen Lektüre von „Red Team Blues“ genug zum Liken finden. Womöglich landet der alte Finanzforensiker und Blockchainbohrer Marty Hetch in einem Bett zu viel, vielleicht ist er ein bisschen zu clever, zu findig – aber das sind (genauso wie die kleinen Bits persönlicher Vorlieben für guten Kaffee und gute Essen, oder gesellschaftliche Beobachtungen zu etwa Obdachlosigkeit) nun mal die Figuren, die wir bei Doctorow so mögen. Die paranoiden, versierten Durchschauer des Spiels, die gegen das System, gegen übermächtige Feinde, gegen das Metaverse, gegen die Überwachung, gegen die Regierung antreten. Die nicht kleinzukriegen sind, nicht zurückstecken, immer noch eine Idee und einen Schachzug haben. Hacker-Fantasie? Ein bisschen. Unterhaltsamer Hacker-Hardboiled, lesenswerter Cyber-Crime? Auf jeden Fall.

Zumal Doctorow auch in „Red Team Blues“, diesmal ganz klar kein Young-Adult-Titel und so schlank wie ein hartgekochter Chandler/Marlowe, gegenwärtige Phänomene um Blockchain, Bitcoin und Co. auf eine Weise in die Handlung einbaut, dass man hinterher garantiert mehr darüber weiß, das Ganze besser versteht als vorher. Und das kann man ihm und seinen Geschichten gar nicht hoch genug anrechnen. Schließlich macht Cory Doctorow eine oft unsichtbare, unverständliche, allgegenwärtige Parallelwelt für uns so ein Stück weit sichtbarer und greifbarer. Und uns, vielleicht, hoffentlich, ein bisschen weniger angreifbar.

Cory Doctorow: Red Team Blues • Roman • Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski • Heyne, München 2024 • 336 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 17,00 • im Shop

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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 erscheint bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“.

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