25. April 2019 2 Likes

Gefangene des Toasters

Cory Doctorows Novelle „Wie man einen Toaster überlistet“

Lesezeit: 3 min.

Eigentlich war der Amerikaner Thomas M. Disch (1940–2008) immer der Science-Fiction-Autor, bei dem man zuerst an Toaster dachte. Schließlich veröffentlichte Disch 1980 die Novelle „Tapferer kleiner Toaster“, die sogar für den Hugo und den Nebula nominiert war (und 1982 im Band „Die besten Stories aus The Magazine of Fantasy and Science Fiction 61: Fenster“ bei Heyne erstmals auf Deutsch erschien). 1986 folgte eine Buchausgabe des großen Abenteuers der beseelten Haushalsgeräte, 1987 eine Adaption als Trickfilm. Doch Disch hat längst prominente Konkurrenz. Denn Cory Doctorow (im Shop) strengt sich mächtig an, Disch als Toaster-Typ unter den Genre-Größen abzulösen. 2011 veröffentlichte Doctorow in der ersten SF-Anthologie der „MIT Technology Review“ die feine Kurzgeschichte „Der tapfere kleine Toaster“ über das Internet of Things, 2019 folgte die Novelle „Wie man einen Toaster überlistet“, die soeben als Hardcover und E-Book bei Heyne herauskam.

Aber jetzt mal im Ernst. Ein neuer Doctorow im Hardcover? Dies sind wahrlich goldene Zeiten. Natürlich ist so eine gebundene Novelle auch eine verdiente Würdigung des 1971 geborenen Kanadiers, der heute mit seiner Familie in Los Angeles lebt und im April mit seinem Roman „Walkaway“ die Phantastik-Bestenliste anführte. Seit Jahren zeigt uns Cory Doctorow beflissen und verständlich die Gefahren von Digitalisierung, Globalisierung, Vernetzung und den aberwitzigen Reformen des Urheberrechts auf. In seinen besten Werken sensibilisiert Doctorow dafür, dass unsere Freiheit auf den ersten Blick zwar immer größer zu werden scheint, in Wahrheit allerdings permanent in Gefahr schwebt oder schon massiv beschnitten wird, was wir blind und bereitwillig in Kauf nehmen. Immerhin stellt es bereits einen Verlust von besagter Freiheit dar, wenn sie bei aller Fülle und Auswahl zum blanken Konsumgut wird – wenn wir uns den Spielregeln der Firmen beugen, die sich wiederum das Urheberrecht zurechtbiegen, bis sie jeden Einzelnen knebeln und fesseln oder wenigstens zur Kasse bitten können.


Cory Doctorow. Foto © Jonathan Worth

Das merkt im Buch auch die junge Libanesin Salima, die nach Jahren in rauen Auffanglagern und Flüchtlingsunterkünften endlich eine eigene Wohnung in Boston zugewiesen bekommt. Doch alltägliche Geräte wie der Toaster und die Geschirrspülmaschine sind in ihrer neuen Billigbleibe an kapitalistische Bedingungen gekoppelt: Der Toaster nimmt nur Lebensmittel von festgelegten Marken an, der Spüler bloß bestimmtes Geschirr. Selbst der Aufzug in den 40. Stock des Gebäudes scheint auf Salima und andere Migranten herabzublicken, da er die vollbezahlenden Mieter bevorzugt transportiert. Als dann auch noch der Hersteller des vertraglich aufgezwungenen Toasters pleite geht und Salima theoretisch gar nichts mehr backen kann, reicht es der Buchhalterin. Sie klinkt sich ins Darknet ein und findet heraus, wie man den Toaster hackt und dessen Beschränkungen umgeht. Dieses Geheimnis teilt Salima bereitwillig mit Freunden und Nachbarn. Die neu gewonnene Freiheit bringt sie jedoch alle in Gefahr, als der Firma hinter der Toaster-Tyrannei neues Leben eingehaucht und den Produkt-Piraten der Kampf angesagt wird …

„Wie man einen Toaster überlistet“ – im Original „Unauthorized Bread“ (unautorisiertes Brot) und schon ein halbes Jahr vor Erscheinen der Novelle für eine Verfilmung optioniert – ist Cory Doctorow in Rein- und in Höchstform. Eine kurze, knackige und topaktuelle Science-Fiction-Parabel über Freiheit, Fortschritt, Einschränkungen, Kommerz, Überwachung, Manipulation und nicht zuletzt Migration, wie man sie besser kaum erzählen kann. Als unterhaltsamer Erklärer und unermüdlicher Wachrüttler führt Doctorow wie in seinem Meisterwerk „Little Brother“ sicher durch die technischen und gesetzlichen Aufhänger seiner sympathischen Science-Fiction-Erzählung. Dabei verschmelzen einmal mehr Gegenwart und Zukunft: Wie so oft stellt man sich als aufgeschreckter Leser die Frage, wo Doctorow etwas nur zu Ende denkt, wo er eine Tendenz oder Entwicklung auf die Spitze treibt, und wo wir womöglich bereits stehen und nur nicht genau hinsehen.

Cory Doctorows Toaster macht also wacher als jede Kaffeemaschine.

Cory Doctorow: Wie man einen Toaster überlistet • Novelle • Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski • Heyne, München 2019 • Hardcover • 176 Seiten • 12 Euro • im Shop

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