22. Februar 2013

Tears in Rain

„Blade Runner“ – Die komplizierte Geschichte eines Meisterwerks

Lesezeit: 4 min.

Blade Runner ist ein Klassiker, ein Kultfilm, ein Meilenstein der Kinogeschichte. Ridley Scotts Film aus dem Jahre 1982 begeistert keineswegs nur Science-Fiction-Fans, sondern hat weit über Fankreise hinaus für Furore gesorgt. In den Geistes- und Kulturwissenschaften ist der Film zu einem festen Wert geworden, der in so ziemlich jedem erdenklichen Kontext heranzitiert wird. Mittlerweile kann Blade Runner wohl ohne Übertreibung als einer der meistanalysierten Filme der letzten dreißig Jahre gelten.

Scott Bukatmans schmaler Band, der erstmals 1997 in der Reihe BFI Film Classics des British Film Institute erschienen ist und nun in einer überarbeiteten Auflage vorliegt, illustriert einerseits die ungebrochene Faszination, die von dem Film ausgeht. Zudem gibt er mögliche Gründe an, warum Blade Runner sich als ein so dankbares Interpretationsobjekt erweist. Bukatman, der Film- und Medienwissenschaften in Stanford lehrt, ist mit seiner 1993 erschienenen Studie »Terminal Identity« bekannt geworden. Dieses Buch, das man inzwischen schon fast als Klassiker bezeichnen kann, ist typischer Vertreter einer postmodernen kulturwissenschaftlichen Strömung, die – sehr vereinfacht gesagt – nach der Rolle des Menschen in einer durch und durch technisierten und kapitalistischen Welt fragt. Was bedeutet es, in einer Zeit Mensch zu sein, in der alles virtuell wird und längst von ökonomischen Mechanismen durchdrungen ist. Dass gerade die Science Fiction für Fragestellungen dieser Art besonders treffende Bilder und Geschichten bereithält, liegt auf der Hand. Dies gilt erst recht für Blade Runner, der die Frage nach dem Wesen des Menschen explizit stellt.

Im Grunde erzählt Blade Runner einen sehr simplen Plot: Ein Polizist jagt eine Gruppe von Robotern, sogenannten Replikanten, die sich illegal auf der Erde aufhält, und verliebt sich dabei in einen anderen weiblichen Roboter. Was den Film auszeichnet und ihn für Analysen aller Art prädestiniert, ist, wie Bukatman richtig bemerkt, seine visuelle Dichte. Blade Runner türmt in seinen überbordenden Bildern schier endlos Schichten aufeinander. Es gibt in diesem Film unendlich viele Details zu entdecken, und je genauer man hinsieht, umso mehr Widersprüche tun sich auf, desto unklarer wird, um was es eigentlich geht.

Diese Widersprüche haben ihren Ursprung zumindest teilweise in der turbulenten Produktionsgeschichte, die Bukatman im ersten Kapitel seines Buches rekapituliert (die Referenz diesbezüglich bleibt Paul Michael Sammons »Future Noir: The Making of Blade Runner«, auf das sich Bukatman auch bezieht). Die Produktion stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Bereits 1968 verkaufte Philip K. Dick die Filmrechte an seinem Roman »Do Androids Dream of Electric Sheep?« (von dem der Film in zentralen Punkten abweicht), es brauchte aber noch einige Jahre und viele Drehbuchfassungen, bis endlich die erste Klappe fiel. Der eigentliche Dreh muss dann eine mittlere Katastrophe gewesen sein: Scott, der endlos an einer einzelnen Einstellung feilen konnte, zerstritt sich nicht nur mit seinem Hauptdarsteller Harrison Ford, sondern war praktisch vom ersten Tag an gegenüber dem Drehplan im Rückstand. Die Kosten stiegen immer mehr an, zwischenzeitlich wurde der Regisseur sogar gefeuert, und als der Film endlich fertig war, fielen zuerst die Testvorführungen und dann auch die Reaktionen von Kritik und Zuschauern äußerst negativ aus.

Bei Erscheinen war Blade Runner ein Flop, und es ist in erster Linie VHS und Laserdisc zu verdanken, dass sich allmählich Fans um den Film scharten, die endlos über die Frage diskutieren konnten, ob die Hauptfigur Deckard nun ein Replikant ist oder nicht. Mittlerweile existieren – je nach Zählweise – rund ein halbes Dutzend Fassungen des Films, wobei vor allem die drei »großen« wichtig sind: Die ursprüngliche Kinofassung von 1982, der sogenannte Director’s Cut von 1992 (der diesen Titel streng genommen gar nicht verdient, da Scott an ihm keinen Anteil hatte) sowie der Final Cut, der 2007 als Teil einer Special-Edition-DVD erschien. Diese letzte, angeblich endgültige Fassung konnte Bukatman in der ersten Auflage seines Buchs noch nicht berücksichtigen; allerdings zeigt er nun wenig Begeisterung für den Final Cut, der ihm zu sauber ist und einige lieb gewonnene Widersprüche bereinigt.

Die zwei folgenden Kapitel widmen sich den Themenkomplexen Großstadt und künstlicher Mensch. Während die Nacherzählung der Produktionsgeschichte noch relativ unspektakulär ist, werden im Folgenden die Eigenheiten der Bukatman’schen Schreibe sichtbar, die für die theoretische Richtung, die er vertritt, insgesamt charakteristisch sind: Präzise Beobachtungen und mitunter geistreiche Überlegungen wechseln sich mit kaum verständlichem theoretischem Kauderwelsch ab; angereichert wird das Ganze mit einem Geflecht von Zitaten, in dem von Roland Barthes und Michel Foucault über Fredric Jameson und Donna Haraway bis zu Slavoj Žižek alles aufgefahren wird, was im Postmoderne-Diskurs gut und teuer ist. Im Vergleich zu anderen Publikationen hält sich Bukatman in diesem als Einführung konzipierten Buch zwar zurück, doch angesichts von rätselhaften Sätzen wie »Blade Runner definiert die Stadt als fraktale Geografie« (S. 69) oder »wie die Kamera des urbanen Kinos überschreitet Roy die Geografie des städtischen Raums« (S. 97) bleibt zumindest mir nur ein Schulterzucken übrig.

Was Bukatmans Buch dennoch anregend macht und im gewissen Sinne sein eigentliches Thema darstellt, ist die offensichtliche Begeisterung des Autors für die überwältigende Wucht des Films, die allerdings stets mit einer gewissen Hilflosigkeit gepaart ist. Gemäß Bukatman ist Blade Runner ein Film über Wahrnehmung; das wichtigste menschliche Wahrnehmungsorgan, das Auge, bildet sein zentrales visuelles Motiv, und Handlung dreht sich primär um die Frage, ob Schein und Sein übereinstimmen, ob die Menschen (und Tiere), denen Deckard begegnet, echt oder bloße Imitationen sind. Zugleich ist Blade Runner aber auch eine Art Wahrnehmungstest für das Publikum. Seine visuelle Dichte lässt den Zuschauer sprachlos zurück und fordert ihn zugleich heraus, dieser konstanten sensorischen Überforderung auf analytischer Ebene beizukommen.

Scott Bukatman: Blade Runner • BFI Film Classics · BFI, London 2012 · 112 Seiten · £ 8,35

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.