20. November 2014 3 Likes

Von Robotern, Wissenschaftlern und Golems

Die intermediale Maschinen-Mensch Fiktion „Codex Roboticus“

Lesezeit: 2 min.

Künstlerisch muss es eine unglaublich fruchtbare Zeit gewesen sein: Die 20er Jahre in Deutschland, geprägt von der Freude über den überstandenen Krieg, der dunklen Vorahnung auf noch viel größere Katastrophen, die sich im Expressionismus, einer Lust am und einer Flucht in das Phantastische Bahn brach. In dieses Reservoir aus Ängsten, Mythen, Narrationen und Fiktionen sticht Jens Maria Weber mit seinem Buch „Codex Roboticus“ hinein, das sich jeglicher Klassifizierung entzieht.

Dass kaum 100 Seiten dünne und dabei doch enorm dichte, reiche Bändchen fügt sich in das Konzept des Berliner Klein-Verlags Das wilde Dutzend, der nicht einfach nur Bücher publiziert, sondern sich den Anschein einer Loge gibt, die lang verschollene Schriften neu auflegt. In diesem Sinne ist auch der Codex Roboticus eine Schrift, die vom (fiktiven) Arzt und Wissenschaftler Dr. Stanislaus Schwenk verfasst wurde. In den 20er Jahren arbeitete dieser Dr. Schwenk – so erzählt es ein einleitender Kommentar des selbstverständlich ebenfalls fiktiven Forschers Prof. Dr. Hans Martin Nommsen – an einem streng geheimen Rüstungsprojekt dessen Ziel es war, Roboter zu entwickeln, die den Menschen auf den Schlachtfeldern überflüssig machen würden. In einer unterirdischen Fabrik im rheinischen Elberfeld arbeitet Schwenk an diesen Roboterwesen und führt penibel Tagebuch: Nicht zufällig tragen die Roboter Namen wie Autonom III, wirkt Schwenk in seiner zunehmenden Besessenheit wie ein Widergänger von Fritz Langs Rotwang, der am Maschinenmensch Maria bastelt.

Auch der Mythos vom Golem wird beschworen, in Form eines Drehbuchs, das zur Tarnung der Forschung fabriziert wird und das etwa einen Dialog zwischen Prospero und Faust imaginiert: „Wollen Sie mit Ihren Ungeheuern dem Menschen gleichkommen“, fragt Ersterer und deutet die Essenz des Buches an, dessen apokalyptisches Ende einen Bogen bis zu einer Gegenwart spannt, in der wir Menschen unsere Freiheit immer mehr den Computern überlassen – und das ganz freiwillig.

Doch nicht nur aus Textfragmenten besteht der „Codex Roboticus“, auch technische Zeichnungen der rundlichen Roboter beinhalt der Band, Fotos von finsteren Rüstungsanlagen, Tuschebilder und schließlich sogar einige Seiten einer düsterer Graphic-Novel, die man gern von einem Meister des Expressionismus verfilmt sähe. Und auch Online wird das Thema weitergesponnen: Auf www.dwd-akademie.de wird die Rahmenstory des Buchs von (diesmal echten) Wissenschaftlern und Zukunftsforschern als Anlass für weiterführende Diskussionen benutzt. Themen werden zum Beispiel die Entwicklung von künstlichen Wesen oder der Mad Scientist als Schöpferfigur sein, wobei besonders der Vortrag von Stefan Greiner, Vorsitzender von Cyborg e.V., und dank eingepflanzter biometrischer Chips eine Art Vorreiter der Verwandlung des Menschen zum Roboter, interessant sein dürfte.

In seiner Mischung aus unterschiedlichen Medien, seinem Spiel mit Mythen und Geschichten ist „Codex Roboticus“ ein spannendes Beispiel dafür, wie die Ansätze der Postmodernen Literatur durch eine clevere Verknüpfung alter und neuer Medien weitergesponnen werden kann.

Jens Maria Weber: Codex Roboticus • Das wilde Dutzend, Berlin 2014 • 96 Seiten • € 24,90


Bilder: Jens Maria Weber / Das wilde Dutzend

 

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