17. November 2014 2 Likes

Welt in Trauer

Tom Perrottas neuer Roman „Die Verlassenen“ ist eine Metapher auf die Welt nach 9/11

Lesezeit: 3 min.

Man hätte es ahnen können: Seit 15 Jahren, seit der Verfilmung seines Romans „Election“ durch Alexander Payne, gilt Tom Perrotta nun schon als unterbewertetes Talent, das kurz vor dem weltweiten Durchbruch steht. Daran änderte auch eine Oscar-Nominierung im Jahr 2008 nichts: „Little Children“ - Perrotta schrieb gemeinsam mit Regisseur Todd Field ein Drehbuch nach dem eigenen Roman – bekam zwar gute Kritiken, enttäuschte aber leider an den Kinokassen. Das könnte sich jetzt ändern, denn wieder ist ein Roman des heute 53-Jährigen verfilmt worden, diesmal jedoch für das heimische Kino, für den Bezahlsender HBO.

In „Die Verlassenen“ (im Shop) verschwinden von einem Augenblick zum nächsten zwei Prozent der Menschheit. Einfach so. Weg. Ohne Spur. Ein weniger talentierter Autor hätte aus dieser Idee vielleicht einen Thriller mit Horrorelementen gemacht. Perrotta ist da cleverer: Sein Hauptaugenmerk legt er auf die Familie Garvey. Die sind zwar nicht direkt betroffen vom „Plötzlichen Fortgang“, sie zerbricht dennoch daran. Mutter Laurie etwa hat sich einer Sekte angeschlossen, die sich „Der Schuldige Rest“ nennt, der älteste Sohn Tommy bricht die Schule ab und folgt – nach einer Phase von Party, Party, Party – nun dem zwielichtigen Propheten Holy Wayne. Und auch zwischen Vater Kevin Garvey, Bürgermeister der kleinen Gemeinde Mapleton, und Tochter Jill treiben die Ereignisse eine Schneise der Entfremdung.

Es ist eine Welt in Trauer, die Perrotta da beschreibt, nicht ganz unähnlich der Reaktion der amerikanischen Öffentlichkeit nach 9/11. Alle Facetten menschlichen Verhaltens sind da: Schuld, Unglauben, Extremismus. Um so bedrohlicher, weil der Aktionsrahmen immer auf die kleine Vorortgemeinde beschränkt bleibt. Wohl auch deshalb vergleicht Stephen King – neben Dennis Lehane ein bekennender Perrotta-Fan – den in Boston lebenden Kollegen mit dem Klassiker Sherwood Anderson, dem Beschreiber des amerikanischen Kleinstadtlebens.

Zugegeben: Das ist eher sperrig als actionreich erzählt. Aber Perrottas detailreiche Sprache (kongenial von Jan Schönherr übersetzt) macht da wieder viel gut. Kein Wunder also, dass der Bezahlsender HBO den Roman schon vor Erscheinen in sein Serienportfolio nahm. Das Buch wurde in zehn Folgen zerlegt und Könnern wie dem Produzenten Damon Lindelof („Lost“) und Regisseuren wie Peter Berg („Operation: Kingdom“), Mimi Leder („E.R.“) und Lesli Linka Glatter (alles, was nicht weg läuft) anvertraut. In den Hauptrollen sieht man Justin Theroux, Amy Brennemann, Ex-“Doctor Who“ Christopher Eccleston und Liv Tyler. Schon im April bestellte man eine zweite Staffel, die die Handlung des Romans fortsetzten soll.

Dabei fällt jedoch auf, dass bereits Staffel 1 handlungstechnisch sehr langsam voran schreitet. Was man im Roman gut akzeptieren kann, das es eben nicht um die Menschheitskatastrophe geht, sondern um die Auswirkungen des Traumas auf die Zurückgebliebenden, führt im Fernsehen zu einer gewissen Exzentrik in der Charakterisierung. Oder anders gesagt: Da ist nicht ein einziger Sympathieträger dabei! Dennoch, und obwohl es in der Mitte der Serie einige Wassertretfolgen gibt: Wer sich auf „The Leftovers“ einlässt wird mit einer klugen, emotionalen Handlung belohnt, apokalyptischen Soap-Operas wie „The Walking Dead“ unendlich überlegen.

Hoffentlich hilft die Serie auch dabei, dass Perrotta, der übrigens neben Lindelof auch Showrunner der Serie ist, endlich den globalen Erfolg bekommt, den er schon lange verdient.

Tom Perrotta: Die Verlassenen • Heyne, München 2014 • 448 Seiten • € 19,99 (im Shop)

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