11. Mai 2019

Wenn die Städte die Dörfer verschlingen

Fantasyhafte Filmvorlage: „Mortal Engines“ von Philip Reeve

Lesezeit: 3 min.

Gigantische Städte, die sich auf Rädern und Raupenketten über ausgedehnte Ebenen dröhnend zu Tode hetzen, während über ihnen zahlreiche Luftschiffe kreisen – Philip Reeve hat sich für seine „Mortal Engines“-Bücher eine faszinierende Kulisse ausgedacht, die nach dem Lesen lange nachwirkt. Bei Fischer TOR wurde nun mit „Krieg der Städte“ der erste Band einer vierteiligen Romanedition vorgelegt.

Tausende von Jahren in der Zukunft ist das Zeitalter des Städtedarwinismus angebrochen. Nach dem lange zurückliegenden Sechzig-Minuten-Krieg wurde London die erste Traktionsstadt, die sich frei bewegen und andere Ortschaften angreifen konnte. „Die Großen fressen die Kleinen“ – dieses Prinzip ist allen Bewohnern der Metropole nur zu gut bewusst. Dies gilt auch für den fünfzehnjährigen Tom, der als Waise und Gehilfe dritter Klasse in der Historikergilde wenig Ansprüche zu machen hat. Doch als er durch Zufall Thaddeus Valentine begegnet, dem berühmtesten Archäologen Londons, scheint sich das Blatt zu wenden – bis auf Valentine ein Attentat durch das Mädchen Hester Shaw verübt wird. Zwar kann Tom das Schlimmste verhindern, doch als die Messerstecherin durch einen Entsorgungsschacht flieht, stößt Valentine ihn überraschend hinterher. Beide landen jenseits der fahrenden Stadt in der Wildnis. Ihnen bleibt kaum etwas anderes übrig, als sich zusammenzutun und London zu folgen; dabei stolpern sie von einem Abenteuer zu nächsten: Sie werden von Sklavenhändlern gefangengesetzt, begegnen der Aeronautin Anna Fang und fliehen im Ballon vor dem halbmenschlichen Killer Shrike. In London hingegen ist Katherine, die Tochter Valentines, den Geheimnissen ihres Vaters auf der Spur. Was ist bei einer geheimnisvollen Expedition vor sieben Jahren wirklich geschehen? Und was hat diese mit MEDUSA zu tun, einem Projekt, hinter dem sich eine Waffe zu verbergen scheint? Als London ins Visier der Panzerstadt Bayreuth gerät, wird Katherine einiges klar.

„Mortal Engines“ – im Original 2001 veröffentlicht und 2018 verfilmt – ist saftige Abenteuerkost und besticht in erster Linie durch die Bildhaftigkeit und die starke Visualität der Geschichte. Man fühlt sich mitten in die rasch wechselnden Handlungsorte mit ihren steampunkartigen Attraktionen hineinversetzt und genießt die exotische Atmosphäre. Die in zahlreiche Kurzkapitel unterteilte Handlung ist zwar ausgesprochen flott erzählt, verlässt aber nur selten den Bereich des Erwartbaren; man merkt, dass sich Reeve stark an klassischen Piratengeschichten orientiert hat, als die seine Romane auch erzählbar wären. Doch das muss kein Nachteil sein, da sich „Krieg der Städte“ in erster Linie an ein jugendliches Publikum wendet. Ähnlich wie bei den entsprechenden Büchern von Robert A. Heinlein (etwa „Citizen of the Galaxy“, 1957; dt. „Bewohner der Milchstraße“) oder Alan Dean Foster (die Romane um Pip & Flinx, im Shop) ergibt sich so eine ideale Einflugschneise, um mit den Welten der SF vertraut zu werden. Dazu kommen ein paar freundliche humanistische Handreichungen wie diejenige, dass Tom und Hester nicht zuletzt gegen ein Ausbeutungssystem kämpfen, das sich in den unteren Schichten Londons verbirgt. Wer farbenprächtige Abenteuer erwartet, kommt bei „Mortal Engines“ in jedem Fall auf seine Kosten. Dass sich aus dem weitgehend als Kulisse dienenden „Städtedarwinismus“ in kulturkritischer Hinsicht noch mehr hätte herausholen lassen, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Erwähnenswert ist noch etwas: Fischer TOR hat für die vier Romane (die Fortsetzungen lauten „Jagd durchs Eis“, „Der grüne Sturm“ und „Die verlorene Stadt“) die umlaufenden Titelbildillustrationen von Ian McQue übernommen, die zwar immer dasselbe Motiv variieren, dies aber so gekonnt und faszinierend tun, dass man sich im besten Sinne an Großmeister wie Jim Burns, Peter Jones oder Patrick Woodroffe erinnert fühlt. Ein erfreulicher Schachzug in Zeiten, in denen Science-Fiction-Verlage ihre Bücher nicht selten mit Motiven versehen, die so wenig nach Genre wie irgend möglich ausschauen.

Philip Reeve: Mortal Engines – Krieg der Städte • Aus dem Englischen von Nadine Püschel und Gesine Schröder • 336 S. • Fischer TOR, Frankfurt 2018 • Taschenbuch: 12 Euro • E-Book: 9,99 Euro

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