10. September 2014 1 Likes

Willkommen in Area X

Jeff VanderMeers Roman-Highlight „Auslöschung“

Lesezeit: 3 min.

Jeff VanderMeer ist nicht nur einer der wichtigsten Herausgeber der englischsprachigen Fantastik-Gegenwart. Er ist außerdem einer dieser amerikanischen Autoren, die so außergewöhnlich und dabei so versiert und hervorragend sind, dass sie hierzulande eigentlich keine Chance auf dem Markt haben, völlig egal, wie gut ihr Standing innerhalb der Szene ist oder wie viele Awards sie ihm Regal stehen haben. Dennoch ist mit „Auslöschung“ gerade der erste Band von Mr. VanderMeers Southern Reach Trilogie auf Deutsch erschienen – und damit einer der wichtigsten und besten fantastischen Romane der letzten Jahre, mit dessen Übersetzung im Grunde niemand gerechnet hat.

In „Auslöschung“ präsentiert VanderMeer, der 1968 in Pennsylvania geboren wurde, auf den Fidschi-Inseln aufwuchs und heute in Florida lebt, den tagebuchähnlichen Bericht einer Biologin. Diese geht zusammen mit einer Psychologin, einer Anthropologin und einer Vermesserin über die unsichtbare, aber deutlich spürbare Grenze nach Area X – einen Ort, an dem vor vielen Jahren etwas geschehen ist, das die geheime Regierungsorganisation Southern Reach seither mit Expeditionen zu erforschen und zu verstehen versucht. Doch das ist schwer angesichts der Auswirkungen von Area X, einer Ansammlung ganz besonderer Habitate, in denen es vor allem eines gibt: Wilde Natur, und beängstigende Metamorphosen – Verwandlungen und Veränderungen, innerlich wie äußerlich. Verwandlungen und Veränderungen, die trotz einprogrammierter Hypnose-Befehle auch vor den vier Frauen keineswegs haltmachen, die im nutzlosen Schutz der Anonymität nach Area X entsendet werden, das sich immer weiter ausdehnt… 

In seinem Roman, der wesentlich gehaltvoller ist, als 240 Seiten vermuten lassen, verbindet VanderMeer auf großartige Weise den Horror und die Science Fiction, die Science Fiction und den Horror – die Angst vor dem Unbekannten und Fremden und davor, sich darin zu verlieren, ist ständig greifbar und förmlich am Pulsieren. Obwohl er ein eigenständiges, anspruchsvolles Werk von einer unbestreitbaren Genre-Brillanz verfasst hat, kommt VanderMeer dem psychologischen Schrecken und Grauen von Altmeister H. P. Lovecraft hierbei unglaublich nahe – näher, als die meisten Pastiche-Autoren, die genau das eigentlich von Haus aus wollen, einzig und allein anstreben. VanderMeers Bericht der Biologin, die Area X erkundet und zwischendurch Einblicke in ihr Leben und ihre Motivation gibt, ist faszinierend, fremdartig, spannend, verstörend, hypnotisierend und hat eine gewaltige Sogkraft – eine grandiose Mischung aus Lovecraft, Borges und dem viel zu früh verstorbenen Lucius Shepard.

VanderMeer erzeugt eine unglaubliche Stimmung und erinnert uns beim Lesen darüber hinaus daran, was im modernen Grusel gerne falsch läuft, wo die Schrecken unabhängig von der Medienform nicht selten zu früh ein Gesicht bekommen und enthüllt, ja geradezu ausgeleuchtet werden. Der Amerikaner vertraut auf den Schrecken des Unbekannten, auf erzählerische Tiefe und auf einfache Mittel mit großer Wirkung. Der Auftaktband seiner Trilogie ist deshalb ein herausragendes, da intensives Buch der modernen Fantastik, das in seiner fast schon etwas altbacken anmutenden Bericht-Verpackung als absolut zeitlos daher kommt.

Band zwei („Autorität“) kommt im Januar nächsten Jahres, der Abschluss der Trilogie („Akzeptanz“) im März. Man kann dem Verlag Antje Kunstmann – nach Klett-Cotta und Shayol VanderMeers drittem deutschen Verlag – nur die Daumen drücken, dass es für den Mut, diese hochklassige literarische Gemme zu veröffentlichen, eine Belohnung in Form guter Verkaufszahlen gibt, und dass hoffentlich auch viele Nichtgenre-Leser „Auslöschung“ ihrem Reader oder ihrem Lesestapel hinzufügen.

Jeff VanderMeer: Auslöschung (Southern Reach Trilogie Bd. 1) • Verlag Antje Kunstmann, München 2014  • 236 Seiten • € 16,95

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