7. August 2024

„Wolfszone“ von Christian Endres

Eine Gast-Review zum Near-Future-Krimi mit den Cyborg-Wölfen

Lesezeit: 3 min.

Ich frage mich, ob schon jemand Christian Endres’ Nanotechnologie-Thriller „Wolfszone“ (im Shop) mit den Worten „Rotkäppchen meets Cyberpunk“ zusammenzufassen versucht hat. Das wäre allerdings eine unangemessene Verniedlichung, denn dieser Roman ist alles andere als niedlich. Originell, absolut. Spannend, zweifellos. Und, zumindest sehe ich das so, einer der besten Science-Fiction-Romane dieses Jahres.

Zur Handlung: Im vom Klimawandel und dem Erfolg rechter Parteien ohnehin gebeutelten Osten hat irgend jemand illegal Nanotechnologie verklappt. Die ist nach wie vor aktiv und hat Symbionten in Form der dort frei lebenden Wölfe gefunden. Nun kontrolliert ein ganzes Rudel der durch Naniten biotechnologisch aufgerüsteten und intelligenter gewordenen Tiere ein riesiges Waldgebiet nahe dem Dörfchen Dölmow: Einer besetzten Zone, die von der Bundeswehr kontrolliert und von Prowolfsaktivisten belagert wird. Mitten in diesem Hexenkessel ist Privatdetektiv Joe Denzinger auf der Suche nach Lisa Kraupen, Wolfsschützerin und Erbin exakt des Waffentechnologie-Unternehmens, das von der angespannten Situation am meisten profitiert. Denzingers Ermittlungen deuten darauf hin, dass die Maschinenwölfe sie getötet haben.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Endres seine unberechenbaren Wölfe ausgerechnet im Osten angesiedelt hat, der derzeit Epizentrum eines hoch riskanten politischen Bebens geworden ist. Und so spielen Reichsbürger und deren politische Paranoia, Nazis und ihre Xenophobie auch in „Wolfszone“ immer wieder eine Rolle. Ich denke nicht, dass Christian Endres eine Parabel über aktuelle politische Entwicklungen schreiben wollte, aber auch dieser Roman spiegelt, wie es Science-Fiction immer tut (und auch tun sollte), die Ära, in der er entstanden ist. „Wolfszone“ tangiert dabei natürlich auch das Subgenre der Climate Fiction, wenn die globale Klimakatastrophe auch kein zentrales Motiv der Geschichte ist.


Christian Endres

Endres schickt seine ausnahmslos interessanten Figuren in einen Wettlauf gegen die Zeit, bei dem es um die Rettung oder Vernichtung des Wolfsrudels und das Schicksal von Lisa Kraupen geht. Dabei verknüpft er die verschiedenen Handlungsstränge immer dichter und legt gleichzeitig seine Leser an die Kette. Ich konnte „Wolfszone“ ab Seite 200 nur schlecht zur Seite legen, aber Seite 300 gar nicht mehr, sodass ich deutlich mehr als die zweite Hälfte in einem Rutsch durchgelesen habe. Darüber, ob hier ein High-Tech-Thriller oder Cyberpunk vorliegt, könnte man diskutieren. Indiskutabel ist hingegen der unbestreitbare Unterhaltungswert dieses Pageturners. Sehr stark!

Endres schreibt übrigens im Nachwort, dass „Wolfszone“ ursprünglich aus einer Kurzgeschichte für „Spektrum der Wissenschaft“ entstanden ist. Deswegen darf sich das Magazin wohl auch über ein „Cameo“ im Buch freuen. Ich nutze die Gelegenheit und erkläre „Wolfszone“ zusätzlich zum gelungenen Plädoyer für die Bedeutung von Kurzgeschichten! Jemand muss das ja mal erwähnen.

Christian Endres: Wolfszone • Roman • Heyne, München 2024 • 512 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: 20,00 € • im Shop

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Thorsten Küper, Jahrgang 1969, schreibt Kurzgeschichten für Anthologien und Magazine. Mehr als zwanzig Mal wurde er für den Kurd Laßwitz Preis und den Deutschen Science Fiction Preis nominiert. 2019 gewann er beide Preise mit seiner Story „Confinement“. Seit 2010 organisiert er mit seiner Frau Kirsten Riehl virtuelle Lesungen in Second Life, mit Frederic Brake moderiert er die Phantastik-Talkshow „Talkien“ bei YouTube.

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