Afraid Of Americans
David Bowie besucht die Erde in „Der Mann, der vom Himmel fiel“
In Spannungsfeld zwischen Genre- und Autorenfilm entstehen manchmal die bemerkenswertesten Kunstwerke. Wenn die individuelle Sensibilität eines „auteurs“ auf die (vermeintlichen) Beschränkungen eines etablierten Inhalt- und Formenkanons trifft, fliegen gelegentlich die Funken. Das wussten schon die Protagonisten der französischen Nouvelle Vague, die ihre künstlerische Stimme und ihre „écriture filmique“ an amerikanischen Western- und Gangsterklassikern der 40er- und 50er-Jahre schulten, um dann auf der Grundlage des so genau Studierten ganz eigene Genre-Autoren-Hybriden zu schaffen. Im anglo-amerikanischen Raum setzte sich diese Bewegung vor allem ab Ende der 60er-Jahre durch: In den USA waren es Regisseure des New Hollywood wie Coppola, Scorsese, Penn oder Altman, in Großbritannien idiosynkratische Persönlichkeiten wie Ken Russell oder Nicolas Roeg, der 1973 mit Wenn die Gondeln Trauer tragen zeigte, wie sich Genrevorgaben, individuelle Handschrift und kommerzieller Erfolg kongenial verknüpfen lassen.
Waren es bei dem morbiden Meisterwerk mit Julie Christie und Donald Sutherland noch Elemente der Gothic Romance, die er mit seiner Lust am Filmischen, vor allem an der Montage, zu etwas völlig Eigenständigem formte, basiert der Nachfolger aus dem Jahr 1976 auf klassischen SF-Konzepten. Der Mann, der vom Himmel fiel erzählt auf der Plotebene die Geschichte eines Außerirdischen, der zur Erde kommt, um für seine von einer tödlichen Dürre heimgesuchte Welt neue Ressourcen zu erschließen. Auf der Basis einiger mitgebrachter Patente entwickelt sich dieser Alien zu einem Business-Tycoon, der seinen Wohlstand generalstabsmäßig plant, um ein Raumschiff für die Heimreise finanzieren zu können. Am Ende wird er jedoch zum Opfer seiner eigenen Ambitionen – und des gnadenlosen amerikanischen Kapitalismus, der ihn physisch und psychisch zerstört. Dieser Plot ist jedoch so ziemlich das Einzige, was Roeg und sein Drehbuchautor Paul Mayersberg aus Walter Tevis’ gleichnamigem Roman entnehmen. „In Sci-Fi you can do anything“ lautete die kreative Prämisse, mit der Roeg ans Werk ging. Und so tat er alles, um den Fallen des Konventionellen zu entgehen und schuf ein ambitioniertes filmisches Meisterstück für die Ewigkeit.
Das wird schon an dem größten Special Effect deutlich, den er sich leistet: Die Besetzung des damals auf dem Höhepunkt seines genresprengenden Schaffens thronenden David Bowie in der Hauptrolle des Außerirdischen „Thomas Jerome Newton“. Roeg wollte nicht, dass dieser Part einfach als weitere Rolle in der Filmographie eines etablierten Hollywood-Schauspielers verschwand. Also entschied er sich für den britischen Popstar, der 1976 bereits diverse Häutungen künstlerischer Art hinter sich gebracht hatte und schon rein phänotypisch etwas glaubhaft Alienhaftes mitbrachte. Die Aura des Unnahbaren, des viel zu Dünnen, des Enigmatischen und gleichzeitig Hochattraktiven ging Hand in Hand mit der Britishness, die im Film immer wieder als völlig plausible Umscheibung des „stranger in a strange land“ Verwendung findet. Bowie funktioniert perfekt in diesem Film, der seine SF-Topoi auf höchst eigenwillige Art zu einem Roeg-Opus verbindet, dass gleichzeitig völlig offensichtlich Produkt seiner Zeit und zeitloses Kunstwerk ist. Anders als wasserdichte Genre-Klassiker jener Jahre wie Star Wars, Planet der Affen, Flucht ins 23. Jahrhundert oder Alien entgeht Der Mann, der vom Himmel fiel der Falle des Epischen und ist in jeder Sekunde seiner langen Laufzeit immer zu 100% POP! Die Ausstattung, die Frisuren, der Sex, der Heroinkörper Bowies, die Krawatten und Tapeten – und nicht zuletzt John Phillips’ Soundtrack, der den Film mit verschiedensten Beispielen genuin amerikanischer Musik beschallt. Bowie hatte selbst mit der Arbeit an einem hauptsächlich elektronischen Score begonnen, den Roeg aber als „too much Science Fiction“ dankend ablehnte. Es ging ihm bei seinem SF-Film nicht um die etablierten Oberflächenmerkmale des Genres, sondern um einen seiner immanenten Konflikte: den des Fremden in einer fremden Welt.
Und was für eine Welt das ist, eine Welt des völlig entgrenzten Corporate America, das keine Empathie mehr kennt. Eine Welt des Massenkonsums, der TV-Diktatur und des Drogenwahns. Eine Welt der zwischenmenschlichen Ambivalenz und der Gefühlskälte. Und nicht zuletzt auch eine Welt, die in ihrer Absurdität einfach nur noch lächerlich wirkt. Gerade deshalb ist Der Mann, der vom Himmel fiel oft auch abgrundtief lustig und beißend zynisch, mehr Satire als harte SF. Und als solche einer der ehrlichsten Filme über die USA der 70er-Jahre. Roegs SF-Stück strotzt vor Americana, die nicht nur in der Musik ein breites Panorama entfalten, sondern vor allem in den opulenten Bildern amerikanischer Natur- und Kulturlandschaften. So fremd und gleichzeitig vertraut konnte in den 70er- und 80-Jahren aus europäischer Perspektive nur noch Wim Wenders das gelobte Land im Westen wirken lassen, und so einzigartig wurde es als genuine SF-Kulisse vorher und nachher nie wieder verwendet.
Es ließe sich noch viel mehr über die Qualitäten dieses ganz außergewöhnlichen Werks sagen, doch idealerweise schaut man sich das Ganze einfach an. Und ob man Bowie nun schon des Öfteren dabei zusah, wie er zu Beginn einen steilen Hügel herabstolpert oder als interessierter Newcomer zum ersten Mal in den Genuss dieses Klassikers kommen möchte: Die remasterte Version des Films aus der Qualitätsfabrik Arthaus bietet die perfekte Lösung. Nicht nur sieht der Film besser aus als je zuvor, auch die Extras können sich sehen und hören lassen. In den neuen Interviews mit den Machern und Darstellern erfährt man spannende Interna der Produktion, ein Interview mit Bowie aus dem französischen Fernsehen von 1977 zeigt den leicht irritierten Briten im Clinch mit dem starken Akzent des Pariser Gastgebers, ein Feature zur Entstehung des Soundtracks bietet einen faszinierenden Enblick in die Kontroverse um die Autorschaft des Scores. (Das ganze Package gibt’s dann auch noch inkl. eben jener Musiksammlung, die in dieser Form vorher tatsächlich noch nicht erhältlich war. Muss man aber auch nicht wirklich haben, denn die kunterbunte Zusammenstellung funktioniert losgelöst vom Film eher als faszinierendes Kuriosum. Aus Bowies Soundtrack-Skizzen wurde übrigens später die Grundlage für sein epochales Album „Low“, das als reine Soundscape naturgemäß besser funktioniert.) Ein Making-of sowie der Trailer runden die Bonus-DVD ab, die aus dem Paket eine wunderbare Anschaffung für jeden macht, der sich auch nur im Entferntesten für großartiges Autorenkino der 70er-Jahre interessiert. Für Bowie-Fans sowieso. Und für alle SF-Aficionados, deren Tellerrand nicht nur bis zum nächsten Star Wars-Spin-off reicht.
„Der Mann, der vom Himmel fiel“ ist seit dem 10. November auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Der Mann, der vom Himmel fiel • GB 1976 • Regie: Nicolas Roeg • Darsteller: David Bowie, Rip Torn, Candy Clark, Buck Henry, Bernie Casey
Kommentare