8. Juni 2015 2 Likes

Auf der Astralebene mit den Wachowskis

Das „Matrix“-Geschwisterpaar variiert in der Netflix-Serie „Sense8“ seine Lieblingsthemen

Lesezeit: 4 min.

Als Ende letzter Woche die ersten Vorabkritiken zu „Sense8“ erschienen, für die Kritiker gerade einmal die ersten drei von zwölf Folgen sichten konnten, gab es zwei Tendenzen: Rückkehr zu alter Form oder völlig unverständlich war der Tenor. Schaut man sich dann die zwölfteilige Serie in Gänze an, muss man sagen: Beides ist richtig, aber auch falsch.

Was die Wachowskis hier in Zusammenarbeit mit dem „Babylon 5“-Mastermind J. Michael Straczynski produziert haben, ist eine oft spannende, manchmal enervierende Mischung aus Esoterik, Transgender, Parapsychologie, einer Prise „Lost“, ein bisschen Melodrama und etwas Science-Fiction, bewegt sich aber letztlich in dem Rahmen, der mit dem ersten „Matrix“-Film etabliert, mit den Fortsetzungen ausgebaut und in „Speed Racer“, vor allem „Cloud Atlas“, aber selbst in „Jupiter Ascending“ weitergeführt wurde.

Die offensichtlichste Ähnlichkeit besteht fraglos zu „Cloud Atlas“, in dem die Idee einer spirituellen Verbindung aller Menschen über Raum und Zeit durchdekliniert wurde. In „Sense8“ besteht die Verbindung zwischen acht Individuen, die in acht Städten leben: Will, ein Polizist in Chicago, Caphus, ein Busfahrer in Nairobi, Riley, eine DJane aus London, Nomi, eine transsexuelle Hackerin aus San Francisco, Sun, eine Geschäftsfrau in Seoul, Nala, eine Wissenschaftsstudentin in Mumbai, Wolfgang, ein Tresorknacker in Berlin und schließlich Lito, ein Soapopera-Star in Mexiko-City.

Zu Beginn der ersten Folge werden diese acht Wesen quasi „geweckt“, sehen sie alle plötzlich eine Frau in ihrer jeweiligen Umgebung auftauchen, spüren Kopfschmerzen, stellen zunehmend unerklärliche Ereignisse fest. Ganz langsam, für Ungeduldige sicherlich etwas zu langsam, wird nun das übergeordnete Konzept, nun, angedeutet, denn mehr als Andeutungen sind auch nach den fast zwölf Stunden der ersten Staffel nicht vorhanden. Die Rolle des Erklärers übernimmt dabei eine mysteriöse Figur, die ironischerweise von Naveen Andrews gespielt wird, der vor allem aus „Lost“ bekannt ist. Das weckt Hoffnungen, aber auch Befürchtungen, denn auch in „Sense8“ scheint es um medizinisch-psychologische Experimente zu gehen, sind die Sensates – wie die Wesen heißen – Teil eines breit angelegten Versuchs, in dem auch ein finsterer Wissenschaftler eine Rolle spielt. Dieser Antagonist taucht immer mal wieder auf und scheint manche der Wesen per Lobotomie aus dem Verkehr ziehen zu wollen. Warum, das bleibt wie so vieles offen, was der Serie bisweilen einen etwas allzu losen Erzählstil verleiht.

Immer wieder deuten die Wachowskis – die auch Regie führten, in Zusammenarbeit mit Tom Tykwer, James McTeigue und Dan Glass – in spektakulären visuellen Momenten die Fähigkeiten der Sensates an: Diese können in Gedanken mit den Anderen kommunizieren, aber vor allem auch deren jeweiligen Fähigkeiten für kurze Zeit ausleihen. Und da diese Fähigkeiten praktischerweise auch aus Dingen wie Kung Fu, beidhändigem Schusswaffengebrauch und rasantem Autofahren besteht (Ja, wir befinden uns in der Welt der Wachowskis…) gibt es da etwa Kampfszenen, in denen Caphus in Nairobi verprügelt wird, ihm aber Sun aus Seoul mit ihrer Kampfkunst aus der Patsche hilft.

Trotz dieser sporadischen Actionmomente ist „Sense8“ jedoch vor allem eine Serie, die Familenstrukturen und unterschiedlichste Lebens- und Paarmodelle durchdekliniert. Sämtliche der Figuren haben schwierige Kindheiten hinter sich, die in Rückblenden angedeutet werden, und leiden in der Gegenwart unter den Schatten der Vergangenheit. Besonders spannend und angesichts der Schlagzeilen, die in Amerika die Geschlechtsumwandlung von Bruce in Caitlyn Jenner gerade macht, auch erstaunlich zeitgemäß, ist die offene Darstellung von unterschiedlichen Formen der Sexualität. In Mexiko versteckt der Schauspieler Lito seine Homosexualität, in San Francisco versucht Nomi, in ihrer neuen Rolle als Frau anerkannt zu werden, in Indien kämpft Nala um Selbstbestimmung und gegen eine arrangierte Ehe. Viel Zeit verbringt „Sense8“ mit seinen Figuren, zeigt vielfältige Lebensweisen- und welten, droht dabei immer wieder in allzu große Melodramatik zu verfallen. Neben der Entscheidung, sämtliche Figuren in teils arg gebrochenem Englisch sprechen zu lassen, der größte Schwachpunkt einer ansonsten durchweg interessanten Serie, die eher einem 12stündigen Epos ähnelt als seriellem Fernsehen.

Neuland betreten die Wachowskis mit „Sense8“ gewiss nicht, aber nach dem zwar ambitionierten, aber letztlich (wohl nicht zuletzt durch ungute Rettungsversuche des Studios) dann doch gescheitertem „Jupiter Ascending“, erzählen sie hier wieder dichter, konzentrierter. Das mag nicht zuletzt an der Zusammenarbeit mit J. Michael Straczynski liegen, dem möglicherweise dafür zu danken ist, dass „Sense8“ nicht zu „Cloud Atlas“ ähnlicher esoterischer Schwurbelei wird, sondern ein spannendes Konzept dazu benutzt, ein Plädoyer für Toleranz und Akzeptanz sämtlicher Lebens- und Liebesformen abzuliefern.

Sense8“, verfügbar bei Netflix.

Sense8 • USA 2015 • Regie: The Wachowskis, Tom Tykwer, James McTeigue und Dan Glass • Darsteller: Aml Ameen, Alfonso Herrera, Doona Bae, Jamie Clayton, Tina Desai, Tuppence Middleton, Max Riemelt, Miguel Ángel Silvestre, Brian J. Smith, Freema Agyeman, Terrence Mann, Anupam Kher, Naveen Andrews, Daryl Hannah

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