3. März 2018 1 Likes

Das Leben, das Universum und der ganze Rest

Terrence Malick nimmt sich Zeit: „Voyage of Time“

Lesezeit: 3 min.

Terrence Malicks spätes Meisterwerk, der Cannes-Gewinner Tree of Life, enthielt eine atemberaubende Sequenz, die mitten in das häusliche Drama um Brad Pitt und Jessica Chastain hereinbrach und in circa zwanzig Minuten lang die Geburt und verschiedene Lebensphasen des Universums darstellte. Zur erhabenen Musik von Zbigniew Preisner zogen unfassbar schöne kosmische Bilder über die Leinwand, eine Mischung aus analog und digital erstellten Special Effects und realen Landschaftsaufnahmen – plus Dinosaurier. Einer der aufsehenerregendsten Montage-Coups der jüngeren Kinogeschichte und sicherlich eine der größten Verdichtungen von erzählter Zeit, die jemals ein amerikanischer Filmemacher seinem Publikum zumutete.

Voyage of Time ist nun genau das, was man vermutet, nämlich die Ausdehnung dieser Passage auf Spielfilmlänge. Wobei Malicks Herzensprojekt – bereits seit vierzig Jahren arbeitet der Regisseur, der in jungen Jahren u.a. mit David Lynch die Filmschule besuchte – an seinem wohl ambitioniertesten Werk. Es gibt zwei Ausführungen davon: In der etwa 40-minütigen IMAX-Version stellt Brad Pitt die Voiceover-Stimme, die 90-minütige reguläre Kinofassung wird von Cate Blanchetts Luxusorgan veredelt. Der ehrgeizige Plan: einfach mal alles zeigen. Der Film – man hat tatsächlich große Schwierigkeiten, ihn als „Dokumentation“ zu bezeichnen, denn das ist er ganz sicher nicht – beginnt noch „vor“ dem Anfang der Zeit und endet irgendwann „danach“.

Dazwischen sehen wir Malicks Vorstellung einer Repräsentation von der Entstehung des Universums, der Erde, des Lebens und auch dem Sterben all dieser Dinge. In großartigen, beinahe impressionistischen Bildern formen sich kosmische Nebel, erste Sterne, dann weitere Himmelskörper. Die Kamera streichelt unseren Planeten mit seinen großartigen geologischen Formationen, fängt in einer scheinbar ewig währenden Magic Hour ätherische Naturszenen ein. Dazu schwelen die Geigen, Chöre und Orgeln in göttlichen Klängen von Arvo Pärt und weiteren Vertretern der klerischen Klassik. Wirklich beeindruckend und dank Malicks individueller Sensibilität weit entfernt von vergleichbaren BBC-Dokus oder N24-Mitternachtsware. Doch der amerikanische Regie-Exzentriker will natürlich mehr als schöne Bilder und naturwissenschaftliche Illustration. Malick war immer schon Esotheriker; spätestens durch sein Comeback nach 21 Jahren Kinoabstinenz 1998 mit dem Weltkriegsdrama „Der schmale Grad“ vollzog er den Schritt zum Naturmystiker und christlichen New-Age-Filmemacher. Voyage of Time ist das donnernde Manifest dieser Entwicklung; wenn Cate Blanchett ihre gehauchten Monologe an eine nicht näher bezeichnete „Mother“ richtet, in neo-christlichem, salbungsvollen Tonfall in die Rolle der Schöpfung schlüpft, dann wird klar: Malick geht’s hier nicht nur um krude Materie, sondern um mehr.

Zwischen seine Hochglanzbilder schneidet er immer wieder niedrig aufgelöste Doku-Aufnahmen, die ganz reale Menschen dabei zeigen, wie sie schreckliche Dinge tun: Ochsen abschlachten, Krieg führen, sich in religiösem Wahn ergehen. Warum? Man weiß es nicht genau. Als Zyniker könnte man Malick hier unterstellen, durch die Parallelmontage von göttlicher Erhabenheit und menschlicher Profanität so etwas wie kosmische Indifferenz zu propagieren – und das hätte dann fast schon Lovecraft-Dimensionen. Da ist sicherlich auch etwas dran, es wäre aber zu kurz gedacht – auch zu einseitig, denn dafür ist Malick zu sehr Fan des Lebens in all seinen Formen. Und genau so sollte man sich Voyage of Time auch annähern: Als das Magnum Opus eines ganz besonderen Kinovisionärs, der hier seine Autorschaft zur vollen Blüte bringt, mit allen Frustrationen und Unklarheiten, die echte Kunst eben auszeichnet. Dafür darf man dankbar sein, denn das gibt es im zunehmend industriell geprägten Kino der 2010er-Jahre nicht mehr so häufig.

Voyage of Time: Life’s Journey • USA 2016 · Regie: Terrence Malick • Cate Blanchett, Maisha Diatta, Theo Bongani, Sebastian Jackson, Jamel Cavil

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