7. Dezember 2009 1 Likes

Das Ungeheuer vom Han

„The Host“ – Der Monster-Blockbuster aus Südkorea

Lesezeit: 4 min.

Aus dem Seoul durchfließenden und stark verschmutzten Han steigt ein amphibisches Monster, frisst sich durch die Stadt, legt in der Kanalisation einen Futtervorrat an, löst die übliche Panik, dann den Notstand aus und wird schließlich von einem Grüppchen arg gebeutelter, aber beherzter Seouler in neue, nämlich die ewigen Jagdgründe geschickt.

Das ist alles, und zwar nichts weniger als der beste Monsterfilm mindestens des Jahres, Box-Office-Rekordbrecher in seiner Heimat Südkorea, Abräumer auf Festivals, preisberegnet sowie Kritiker- und Publikumsliebling. Genauso ist The Host ein höflicher, aber bestimmter Schlag in die hässlichen Gesichter der dem Abwasser-Mutanten verwandten Kreaturen, die sich tummeln in den jüngsten amerikanischen Filmversuchen, die Etymologie des Monströsen produktiv ernst zu nehmen. Das lateinische Verb „monstrare“ heißt schließlich „zeigen“, „hinweisen“ oder „lehren“ und leitet sich wiederum von „monere“ ab, was „erinnern“, „(er)mahnen“, „warnen“, „raten“, „anweisen“, „zurechtweisen“ und „strafen“ bedeutet.

Allein ihrem Namen nach bedeuten Monster also eine ganze Menge bzw. repräsentieren Bedeutung und die Schwierigkeiten von Bedeutungszuschreibungen schlechthin. Daher ist auch The Host kein „leichter“ Film bzw. kommt der durch die Werbekampagne und kritische Oneliner („Jaws meets Jurassic Park“) geweckten Erwartung eines humorigen Monster-Spektakels kaum entgegen. Asiatische Filme (der kulturelle Rundumschlag sei in diesem Zusammenhang gestattet) und deren Rezeption zeichnen sich gegenüber vielen westlichen Creature Features durch ein komplizierteres, jedenfalls anderes Verhältnis von Buchstäblich- und Zeichenhaftigkeit aus. Fantastische Wesen sind bei Bedarf ein höchst realer Teil der wirklichen Welt und ebenso bild- bzw. gestaltgewordene Konkretionen abstrakter Ideen, Affekte, Zustände etc. Japanische oder eben koreanische Monster sind – mit einem Wort – selbstverständlich.

Deshalb gelingt Regisseur Bong Joon-ho, dessen Memories of Murder (2003) auf dem Fall des ersten Serienmörders Koreas basiert, mit The Host nicht einfach ein staunenswert intelligentes Update des Original-Godzilla von 1954, obwohl die Parallelen zwischen beiden Filmen offensichtlich und wechselseitig erhellend sind. Vielmehr ähnelt The Host (wenn auch vielleicht erst auf den zweiten Blick; überhaupt gewinnt der Film durch nochmaliges Sehen gewaltig) in grundsätzlicher, „struktureller“ Hinsicht Guillermo del Toros ebenfalls letztjährigem Meisterwerk Pans Labyrinth. Beide Filme verstehen es, im Sinne der erwähnten Selbstverständlichkeit höchst realitätsbezogene filmische Welten gelassen und beinahe beiläufig mit höchst unrealistischen, aber äußerst realen Monstern zu besiedeln. Beides sind Horror- bzw. Monsterfilme, die sich kaum um horrorinszenatorische Regeln kümmern und aus dem Zusammenstoßen von Monstren und Menschen keinen geisterbahnatmosphärischen, sondern je eigenen, neuen, in dieser Form zuvor selten bis nie gesehenen Gewinn ziehen.

Wo der typische Horrorfilm Charaktere, Geschichte und Drama in den rechtfertigenden Dienst monstershowbezogener Effektivität oder metaphorischer Referentialität stellt, benutzen Pans Labyrinth und The Host, ohne großes Brimborium darum zu machen, ihre Monster zu Verdichtung und Antrieb, als „Anweisung“ ihrer dramatischen Erzählungen. Der aus Chemieabfällen entstandene, von der Regierung aber als Virus-Wirtstier vertuschend falsch klassifizierte monströse Riesenlurch steht nicht im visuellen oder narrativen Mittelpunkt des Films, sondern hüpft nach gut zehn Minuten einfach und relativ unspektakulär aus dem Wasser. Danach taucht er lediglich an neuralgischen Handlungspunkten auf, zwischen denen man ihn sequenzenweise völlig vergisst. Natürlich gibt es ein monstermäßiges und so elegantes wie angemessen kathartisches Finale, aber bis zu diesem interessiert sich Bong Joon-ho ausschließlich für sein Musterbeispiel einer dysfunktionalen Familie, die im durchs Monster weniger verursachten als markierten Ausnahmezustand gezwungen wird, so gut es geht zu funktionieren und dabei als biologische Familie endgültig zerrissen wird.

The Host demonstriert, in seiner nahezu experimentell wirkenden Anti-Dramaturgie und durchzogen von seltsam unberechenbarer Ironie, wie man aus gänzlich unoriginellen Zutaten ein originäres, kluges, politisches und in emphatischem Sinne gegenwärtig-modernes Kunstwerk schafft. Wie Pans Labyrinth konfrontiert auch The Host reale Schrecken mit unwirklichem Grauen und stellt damit explizit die Frage nach dem Verhältnis zwischen beidem, ohne die Nahtstellen zu kaschieren. Die erwartbare Standardoption „genuiner, aber allegorischer Horrorfilm“ wird dabei gezielt vernachlässigt. Auch bei del Toro stehen marode bis zerrissene Familien extrem ausgeübter Staatsgewalt ohnmächtig gegenüber bzw. werden von dieser zerstört. Und schließlich spielt auch in The Host ein kleines Mädchen die Hauptrolle, das sich im Alleingang und mit viel größerer Souveränität gegen das Fantastisch-Monströse behauptet, während sich die erwachsene Welt um es herum auch ohne Riesenkaulquappe in die Hölle verwandelt. In beiden Fällen ist das Mädchen am Ende tot, und neue Familienkonstellationen bilden sich.

Vor allem in diesem Punkt eint The Host und Pans Labyrinth die große und sehr bittere Konsequenz, mit der das Monströse als lehrreiche Zurechtweisung konstruiert und ernstgenommen wird – Monster sind zwar nur mahnende Wunderzeichen, aber keine, mit denen man gedankenlos herumspielt. Das wissen Kinder besser als Erwachsene, wobei The Host ein Horrorfilm für letztere ist, wie man ihn (von den Werken del Toros natürlich abgesehen) bislang selten gesehen hat. Regisseure wie David Cronenberg oder George A. Romero begründeten die intelligente Horror-Moderne, Bong Joon-ho ist wie Guillermo del Toro einer von den klugen Filmemachern für die Zeit danach.

The Host • Japan/Südkorea 2006 • Regie: Bong Joon-ho • Darsteller: Song Kang-ho, Park Hae-il, Bae Doo-na, Ko A-sung

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