„Frankenstein“: Guillermo del Toros Doofie-Variante
Mary Shelley würde sich im Grab umdrehen – mindestens drei Mal
Guillermo del Toro hat Mary Shelleys Jahrhundertroman „Frankenstein“ (im Shop) als seine Bibel bezeichnet. Ihm war die Figur des Monsters dabei immer näher als die des Wissenschaftlers, sie wurde zum Nährboden für sein Werk, in dem fantastische Geschöpfe und gesellschaftliche Außenseiter meist im Mittelpunkt stehen.
Wenn man biblische Maßstäbe ansetzen würde, müsste man ihn für seine Adaption allerdings steinigen. Es ist kaum zu glauben: Das Projekt befand sich fast 20 Jahre lang in Entwicklung, der Regisseur laberte seinem Publikum in jedem Interview die Ohren davon voll und dabei heraus kommt eine Schmonzette irgendwo zwischen Uta Danella, Disney und Marvel, die die Frage aufwirft, ob er seine Bibel eigentlich verstanden hat oder ob tatsächlich nur die Figur des Monsters hängen geblieben ist.
Das von Frauenschwarm Jacob Erlodi gespielte Monster ist jedenfalls drahtig, trotz fahler Haut und Narben irgendwie immer noch gut aussehend, unsterblich und in Besitz übernatürlicher Kräfte. Bereits im krawalligen Auftakt wähnt man sich in einem Superheldenfilm, denn die Kreatur kloppt nicht nur Schiffspersonal in alle Himmelsrichtungen, sondern kippt anschließend das komplette Schiff um! Statt nun aber diesen Comic-Ansatz fortzuführen, klammert sich del Toro dann im Großen und Ganzen an den Verlauf von Shelleys Vorlage, rückt aber das Monster in den absoluten Mittelpunkt, es kriegt hier sogar eine zarte Liebesgeschichte spendiert! Der Wunsch nach einer Gefährtin wird ihm nämlich von Viktor Frankenstein sofort verwehrt, dafür findet die Tochter eines extra für den Film geschriebenen Waffenhändlers Gefallen an dem gut gebauten Sonderling, womit das Ganze auf „Die Schöne und das Biest“-Terrain rutscht.
Jegliche Ambivalenzen wurden komplett getilgt. Während es sich im Buch (und in vielen der 50.000 Verfilmungen) beim Monster um eine zutiefst tragische Figur handelt, die aber durchaus auch negative Züge hat – zum Beispiel in einem Wutanfall Frankensteins kleinen Bruder William ermordet –, ist die Gewalt, die von del Toros Kunstmensch ausgeht, stets gerechtfertigt. Frankensteins Schöpfung sieht vielleicht ein bisschen anders aus, ist aber durchwegs grundgut.


Dass Viktor das eigentliche Monster ist, ist mittlerweile eine geradezu banal anmutende These, auf die man sich in der Frankenstein-Rezeption weitgehend geeinigt hat. Trotzdem arbeitet sich der Film zwei Stunden an diesen Punkt ab, um ihn dann tatsächlich in einem Dialog zwischen Frankenstein und seinem Bruder William (der hier nach wie vor jünger ist als Viktor, aber um einiges älter als im Roman ist) noch auszuformulieren: „Du bist das Monster!“ Platter geht kaum. Man möchte vor Zorn in den Wohnzimmertisch beißen.
Ähnlich tief gesenkt das Rollenverhältnis zwischen den Geschlechtern: Nicht nur wurde die Anzahl der weiblichen Figuren gegenüber dem Roman reduziert, Frauen sind in der von del Toro aufgefächerten Welt aufopferungsbereite Heilige, Männer dagegen haben Ecken und Kanten. Von den feministischen Untertönen des Romans findet sich keine Spur. Dafür gibt’s nun einen banalen Vaterkomplex (Viktor/Vater – Monster/Viktor). Mary Shelley, Tochter einer frühen Frauenrechtlerin und eine für ihre Zeit moderne und starke Frau wäre sicherlich hellauf begeistert gewesen. Zumal der Vaterkomplex eigentlich nur da ist, um am Ende auf kitschigste Weise aufgelöst zu werden und das Tor für eine Fortsetzung aufzumachen. Im Gegensatz zum Roman endet del Toros Version nämlich ausgesprochen versöhnlich, angesichts des Finales macht der Superhelden-Anfang Sinn, letztendlich hat man hier eine Origin-Story gesehen. Frankensteins Monster verdrischt bestimmt bald Nazis.
Leider ist das alles zudem nicht besonders toll anzusehen. Der Mexikaner ist im Endeffekt das Pendant zu Michael Bay: Überwältigung statt Stil. Die „schönen Bilder“, die del Toro oft, so auch hier, attestiert werden, sind keine. Die glatt polierten Digitalaufnahmen sehen so überdekoriert aus wie Bijou-Brigitte-Filialen zu Weihnachten und brüllen einem laufend entgegen: „Schaut her, wie teuer ich bin!“ („Frankenstein“ hat mit 120 Millionen Dollar das bis dato höchste Budget aller del-Toro-Filme). Aalglatte Modeprospekt-Ästhetik ohne jede Tiefe. Dazu saust die Kamera ständig durch die Gegend und die Musik fidelt aufdringlich vor sich her.
„Frankenstein“ ist leider durch und durch ein Totalausfall, Mary Shelley würde sich im Grab umdrehen – mindestens drei Mal.
Abb.: Netflix
Frankenstein • USA 2025 • Regie: Guillermo del Toro • Darsteller: Oscar Isaac, Jacob Elordi, Mia Goth, Christoph Waltz, Felix Kammerer, Lars Mikkelsen • Netflix
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