Reingeschaut: „Pluribus – Glück ist ansteckend“
„Breaking Bad“-Mastermind macht Sci-Fi
Wer wie Vince Gilligan Titel wie „Breaking Bad“ und „Better Call Saul“ im Köchelverzeichnis hat, ist nicht einfach nur ein Serienschöpfer, sondern ein Gott. Und an einen Gott hat man natürlich entsprechende Erwartungen – die vom geschickten Marketing noch weiter in die Höhe getrieben wurden. So gab’s im Vorfeld nur wenig zum Inhalt, selbst längere Trailer waren wenig aussagekräftig, auch die Presse wurde mit Aufforderungen zur Geheimhaltung inhaltlicher Punkte und Embargos eingehegt. Sprich, es wurde auf allen Ebenen signalisiert, dass hier was ganz, ganz Großes direkt vom Himmel auf die Erde plumpst – konsequenterweise konnte Apple TV kurz nach der Veröffentlichung der ersten beiden Folgen einen Serverausfall vermelden*! So und nicht anders!
(* hüllte sich aber in Schweigen, ob der tatsächlich mit „Pluribus“ in Verbindung stand.)
Und ja, die ersten beiden von insgesamt neun Folgen sind durchaus unterhaltsam, allerdings bewegt man sich angesichts des Trubels dann doch mild enttäuscht auf vertrautem Genre-Terrain: Ein Virus aus dem Weltraum hat alle Menschen zu einem ewig glücklich und zufriedenen Kollektiv mit einem zusammenhängenden Bewusstsein gemacht. Alle sind fröhlich, alle wissen alles, alle können alles. Theoretisch ein Paradies. Nur die spröde, miesepetrige Schriftstellern Carol Sturka (Rhea Seehorn), die viel Geld mit trivialen Kitschromanen verdient, und elf weitere Menschen haben aus rätselhaften Gründen ein individuelles Bewusstsein behalten.

„Pluribus - Glück ist ansteckend“ spielt die Prämisse aus Don Siegels Klassiker „Invasion of the Body Snatchers“ (Die Dämonischen; 1956) weiter, der Unterschied ist, dass die Körperfresser hier gewonnen haben und der Akzent nach der ersten Episode mehr in Richtung Satire verschoben wird. Denn die Infizierten wollen Sturka zwar ummodeln, wissen aber aktuell nicht so recht wie, sind deshalb bemüht, möglichst gut mit ihr auszukommen und lesen ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Zosia (Karolina Wydra) soll sich als eine Art Betreuerin um sie kümmern. Die chronisch schlecht gelaunte Buchstabenjongleurin wiederum will um jeden Preis ihre Individualität behalten, darf sich aber keinen Wutanfall leisten, denn die Dauergutgelaunten kommen damit nicht zu Recht – jeder Anfall kostet Millionen Menschen das Leben! Erschwerend kommt dazu, dass die anderen von der Infektion Verschonten die Situation eigentlich gar nicht mal so schlecht finden …
Geschichten von Menschen, die durch Außerirdische oder einen Virus verändert werden, gehören zum festen Inventar der Science-Fiction, was sich dadurch erklärt, dass sich mit Storys dieser Art prima der jeweilige Zeitgeist spiegeln lässt, Individualismus vs. Kollektivismus ist zu jeder Zeit ein Thema. So wurde bereits der erwähnte „Die Dämonischen“ entweder als antikommunistische- oder als Anti-McCarthy-Parabel gedeutet. In der heutigen Zeit bieten sich vom Social-Media-Druck über Corona-Pandemie bis hin zur rechten Gleichmacherei mehrere emotionale Anknüpfpunkte an. Gilligan erweitert das in diesem Fall noch um die provokante Frage, ob das Kollektiv nicht vielleicht Recht haben könnte. Letztendlich bringt der Individualismus ja auch jede Menge Probleme hervor.

Erstaunlich ist an „Pluribus“ auf alle Fälle, dass – wenn man dem englischen Wikipedia-Eintrag Glauben schenken darf – die Serie wohl nicht nur in den zwei Anfangsepisoden, sondern durchwegs von Rhea Seehorn und Karolina Hydra geschultert wird, der Rest darf in kleineren wie etwas größeren Rollen hier und da vorbeischauen. Beide bedanken sich dementsprechend mit überzeugenden Vorstellungen: Seehorn macht ihr ruppiges Wesen sogar durch einen leicht trampeligen Gang deutlich, lässt aber gleichzeitig Verletzlichkeit durch die harte Schale schimmern, und Wydra schafft es, ihre persönlichkeitsbereinigte Figur so charismatisch und charmant zu gestalten, dass der Schrecken einer Umpolung doch gefährlich an Wirkung verliert.
Jedenfalls ein ordentlicher Einstieg, ob das Konzept tragfähig genug für eine ganze Serie und nicht eher Stoff für eine „Twilight Zone“ oder „Black Mirror“-Episode ist, wird sich zeigen – ab dem 14.11. geht’s im Wochentakt weiter.
Abb.: AppleTV
Pluribus – Glück ist ansteckend • USA 2025 • Regie: Vince Gilligan und andere • Darsteller: Rhea Seehorn, Karolina Wydra, Carlos Manuel Vesga • Apple TV
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