5. Mai 2017 2 Likes

Hitler über London

Len Deightons Alternativwelt-Thriller „SS-GB“ ist nach fast 40 Jahren eine BBC-Miniserie geworden

Lesezeit: 3 min.

Was wäre wenn …? Eine Frage, die Historiker beschäftigt hat, lange bevor es das Konzept der Science-Fiction überhaupt gab. Was wäre wenn Augustus die römische Republik gerettet hätte? Wenn die Türken Wien erobert, Napoleon Europa unter seinem Stiefel vereint oder die Südstaaten den Bürgerkrieg gewonnen hätten? 1931 veröffentlichte der Schriftsteller und Historiker J.C. Squire seinen vielbeachteten Band „If It Had Happened Otherwise“ (1999 unter dem Titel „Wenn Napoleon bei Waterloo gewonnen hätte“ bei Heyne erschienen), zu dem unter anderem G.K. Chesterton, Winston Churchill und André Maurois Beiträge schrieben. Und dann sind da natürlich die Nazis, die im Untergenre der Uchronie (so nennt man Eventualgeschichte) noch mal einen eigenen Topos bilden. Ungezählte Bücher haben sich an Adolf Hitler und seiner Verbrecherbande abgearbeitet.

Darunter auch der Thriller- und Agentenroman-Autor Len Deighton, der in den 60er und 70er Jahren so populär war, dass er neben John Le Carré gestellt wurde, heute aber fälschlicherweise nahezu vergessen scheint. Sein namenloser Agent, der in fünf Filmen Harry Palmer hieß und von Michael Caine gespielt wurde, galt als George Smiley der Arbeiterklasse. 1978 erschien sein Roman mit dem prägnanten Kurztitel „SS-GB“, in dem er davon ausging, dass Hitler-Deutschland die Luftschlacht um England gewonnen hat und Albion besetzt. Churchill ist im Exil, König Georg VI. ein Gefangener im eigenen Tower. Eine Verfilmung mit James Mason, Ralph Richardson und Rod Steiger war angekündigt, kam aber aus dem Planungsstadium nicht heraus. Der Roman erschien auf Deutsch 1980 als Heyne-Taschenbuch und provozierte damals einen kleinen Skandal: Auf dem Cover erhob sich ein Hakenkreuz über London, das später mit einem Aufkleber in Form einer Hitler-Briefmarke verdeckt werden musste. Die britisch-deutsche Miniserie jetzt wurde von den James-Bond-Drehbuchautoren Neal Purvis und Robert Wade adaptiert.

Die beiden schicken Scotland-Yard-Superintendent Douglas Archer (Sam Riley nuschelt so stark, dass selbst Briten Verständnisschwierigkeiten haben) in einen labyrinthischen Mordfall aus dem Umfeld des Schwarzmarkts. Archer ist zwar unpolitisch, hat aber im Bombenkrieg seine Frau verloren und muss jetzt mit den Besatzern zusammenarbeiten, allen voran mit dem SS-Mann Kellermann (Rainer Bock). Schnell entdeckt Archer, dass der Tote ein Atomwissenschaftler war, hinter dessen Aufzeichnungen jetzt die amerikanische Journalistin Barbara Barga (Kate Bosworth) und der Leiter des deutschen Sicherheitsdienst Dr. Oskar Huth (großartig als gutgelaunter Massenmörder: Lars Eidinger) her sind.

Archer findet sich in einem verwirrenden Spiel wieder, in dem niemand seine endgültigen Ziele erkennen lassen will. Um die Waffenbrüderschaft zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion zu zementieren, überlässt man Stalin die sterblichen Überreste von Karl Marx. Doch bei der Übergabe auf dem Highgate-Friedhof kommt es zu einem Bombenattentat, bei dem Dutzende von deutschen und russischen Würdenträgern sterben. Großbritannien wird unter Kriegsrecht gestellt …

Und genau da liegt das Problem: Regisseur Philipp Kadelbach („Unsere Mütter, unsere Väter“) hat in den fünf Folgen der Miniserie große Schwierigkeiten, alle Fäden der Erzählung zusammenzuhalten. Der Plot um die Atomwissenschaftler etwa verläppert im Ungewissen, das Liebesdreieck um Archer, seine Freundin Sylvia und die Journalistin Barbara bleibt merkwürdig kühl.

Auf der anderen Seite hat „SS-GB“ durchaus Pluspunkte, etwa gegenüber dem thematisch ähnlichen, aber etwas verschwurbelten „Man In The High Castle“: Peinliche Fehler mit der deutschen Sprache („Flughaven“, „Die Leiben Standard“) gibt es in der britischen Produktion nicht. „SS-GB“ sieht fantastisch gut aus und präsentiert einen realistischen und zynischen Thriller-Plot, der bis auf den Schluss wenig an Deightons Buch geändert hat. Allerdings: Wer mit der byzantinisch verschlungenen Welt eines Len Deighton – in der es kein schwarz und weiß gibt, sondern nur grau – nicht vertraut ist, der könnte unbefriedigt zurückbleiben. Für die weltpolitischen Implikationen der deutschen Invasion interessierte sich Deighton überhaupt nicht, ihm ging es um die Auswirkungen auf die normale Bevölkerung, speziell auf die britische Arbeiterschaft. Und da die Serie bisher noch nicht synchronisiert ist und es keine Untertitel gibt, sollte man über gute Englischkenntnisse verfügen: Wer in dieser Serie nicht nuschelt, der spricht nahezu unverständlichen Dialekt.

Die fünf Folgen von „SS-GB“ sind z.Zt. nur als Bezahl-Stream über Amazon verfügbar, werden aber voraussichtlich im Herbst zunächst auf RTL Crime ausgestrahlt.

SS-GB • UK 2017 • Regie: Philipp Kadelbach • Darsteller: Sam Riley, James Cosmo, Rainer Bock, Kate Bosworth, Maeve Dermody, Lars Eidinger • Abb. © BBC

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