6. Juni 2020

Kein großer Coup

Die Comic-Verfilmung „The Last Days of American Crime“ auf Netflix

Lesezeit: 3 min.

Heute kennt man Autor Rick Remender primär für erfolgreiche unabhängige Comic-Stoffe, darunter „Deadly Class“, „Low“ und „Black Science“. 2009 war der Amerikaner, der einst als Animationszeichner an Filmen wie „Titan A. E.“, „Anastacia“ und „Der Gigant aus dem All“ mitwirkte, noch eine feste Größe bei Marvel, wo er sich um den Punisher und Venom kümmerte. Allerdings veröffentlichte er bereits damals unabhängige Comics wie „Fear Agent“ und „The Last Days of American Crime“, Letzteres gezeichnet von Greg Tocchini. Eine Verfilmung dieses reißerischen, wenngleich unterhaltsamen SF-Krimis war lange im Gespräch. Am Ende hat Netflix Regisseur Olivier Megaton („Transporter 3“, „Taken 2 & 3“) nach einem Drehbuch von Karl Gajdusek („Oblivion“, „Stranger Things“) die Geschichte des letzten Verbrechens in der Historie der Vereinigten Staaten adaptieren lassen. Seit 5. Juni steht der Film zum Streamen online.

In „The Last Days of American Crime“ geht es darum, dass die US-Regierung per Neuro-Funksignal und Gedankenkontrolle in ein paar Tagen alle kriminellen Taten der aufgewiegelten, anarchistischen Bevölkerung unterbinden wird. Der Countdown läuft und verschärft das Chaos in dem Polizeistaat, zu dem die USA der nahen Zukunft wurden. Bankräuber Bricke (Edgar Ramírez aus „Carlos“) tut sich mit dem überdrehten Gangstersohn Kevin Cash (Michael Pitt aus „Broadwalk Empire“) und dessen schöner, jedoch falsch spielender Flamme Shelby (Anna Brewster aus „The Tudors“) zusammen. Ihr großer Coup – das letzte große Ding – steht von Anfang an unter keinem Stern …

Doch das kann man über Megatons ganzen Film sagen. Das fängt schon mit der unverantwortlichen Fehlentscheidung an, einen Streifen, in dem es von der dystopischen Grundveranlagung her um einen hässlichen US-Polizeistaat und eine menschenverachtend gewalttätige Exekutive geht, genau zum jetzigen Zeitpunkt zu veröffentlichen – gerade ein Streaming-Dienst sollte da wirklich feinfühliger, flexibler und cleverer sein. Aber auch die Inszenierung des Films macht es einem nicht leicht, ihn bloß im Ansatz oder wenigstens in ein paar Szenen zu mögen. Die Noir-Stimmung und das kriminelle Ensemble werden einem praktisch ohne jeden Esprit mit der Wucht aller greifbaren Klischees reingedrückt und wirken meist aufgesetzt. Außerdem darf so ein brutaler Science-Fiction-Gangsterfilm, der auf den Exzess setzt und abseits davon nicht viel zu bieten hat, natürlich keine zweieinhalb Stunden dauern. Anderthalb Stunden wären da eher angebracht, zumal Megaton trotz der langen Laufzeit nur wenig Ambition an den Tag legt, das Setting über seine zentrale Story hinaus weiter zu erkunden. Die schreckliche Dystopie im Hintergrund soll dem in Kapstadt gedrehtem Neo-Noir-Film genau das liefern – einen schmutzigen Hintergrund, fertig.

„The Last Days of American Crime“ ist so gar nicht, was man sich erhoffte, und viel mehr ein Verbrechen am Zuschauer. Eine dieser Comic-Verfilmungen aus der zweiten Reihe, die für niemanden Werbung machen, am allerwenigsten die grafische Literatur. In zweieinhalb Stunden kann man alleine auf Netflix so viel besseres schauen. Oder man liest die Panel-Vorlage, die auf Deutsch bei Splitter erschienen ist, und hat dann vermutlich immer noch genug Zeit, um z. B. gleich noch den ersten Band von Remenders SF-Comic-Highlight „Black Science“ hinterherzuschieben. Egal was man tut: Alles ist besser, als sich von Netflix’ „The Last Days of American Crime“ viel zu viel Lebenszeit stehlen zu lassen.

Abb.: Marcus Cruz/NETFLIX © 2020

The Last Days of American Crime • USA, 2020 • Regie: Olivier Megaton • Drehbuch: Karl Gajdusek • Darsteller: Edgar Ramirez, Michael Pitt, Anna Brewster, Sharlto Copley • auf Netflix

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