11. August 2022

„Nope“ - Wer hinsieht, stirbt

Jordan Peeles dritter Film ist sein ambitioniertester – und der fahrigste

Lesezeit: 3 min.

Nein, ein neuer M. Night Shyamalan ist Jordan Peele nicht, zum Glück. Die Befürchtung, dass der dritte Film des neuen Regie-Stars, der mit seinem sozialkritischen Horrorfilm „Get Out“ einen Riesenerfolg feierte und den Oscar für das Beste Drehbuch gewann, ebenfalls auf ein extremes Twistende hinausläuft, erweist sich als falsch. Fast könnte man auch sagen: Leider.

Aber zurück zum Anfang von „Nope“, einer Art Science-Fiction-Western mit enormen Mengen sozial-, gesellschafts-, und kulturkritischen Subtexten. Am Set einer Soap Opera findet man sich da wieder und beobachtet einen Affen, der durchdreht und die Schauspieler angeht. Alle, bis auf einen kleinen asiatischen Jungen. Dieser Junge wird später als Erwachsener von Steven Yeun gespielt, der eine Pferdeshow leitet, aber das ist nicht wirklich wichtig, sondern eines der vielen losen Enden von „Nope“.

Denn die Hauptfiguren sind das afroamerikanische Geschwisterpaar Otis Jr (Daniel Kaluuya) genannt OJ (!, auch so ein loses Ende) und Em (Keeke Palmer), die am Rand der Traumfabrik eine Pferderanch namens Haywoods Hollywood Horses betreiben. Und die ist etwas ganz Besonderes, denn die Haywoods stammen, wie Em in einem pointierten, wenn auch ahistorischen Moment, berichtet, von dem schwarzen Jockey ab, den man auf den allerersten bewegten Bildern der Geschichte sieht: Auf den wenigen Sekunden, die der Filmpionier Eadweard Muybridge 1878 mit einem galoppierenden Pferd belichtete. Und eben einem dunkelhäutigen Jockey von dem man nicht weiß, wer er war.

Man ahnt also, worauf das hinausläuft: Der weiße Muybridge wurde weltberühmt, den schwarzen Jockey kennt kein Mensch. Der eine wurde gesehen, der andere nicht. Und so ging es bis vor nicht allzu langer Zeit den allermeisten Minoritäten in Hollywood, doch auch dank Filmemachern wie Jordan Peele ändert sich das.

Nun ist Peele ein zu kluger, reflektierter und kritischer Mensch, um einen platten Lobgesang auf das Berühmtsein, auf das Gesehenwerden anzustimmen. Um anzudeuten, welche negativen Folgen all das haben kann, kommt die Science-Fiction-Komponente ins Spiel, genauer gesagt ein mysteriöses Raumschiff, das in einer starren Wolke über der Ranch der Haywoods schwebt. Nur eine Aufnahme von diesem UFO und alle Geldsorgen wären erledigt, denkt sich Em, doch so einfach ist es nicht, zumal das UFO die Eigenart hat, für Stromausfälle zu sorgen, was dank analoger, handgekurbelter Kameras umgangen werden kann. Allerdings hat das UFO noch eine andere Eigenart: Es saugt gerne Lebewesen mit seinem an ein Auge erinnernden Rüssel auf, nicht nur Pferde, sondern auch Menschen. Allerdings vor allem solche, die Hinsehen.

Unweigerlich muss man angesichts dieser Komponenten an einen der elementarsten Aspekte des Blockbuster-Kinos von Steven Spielberg denken: Das Awe-Face, der verwunderte, überraschte, verblüffte, faszinierte Blick nach oben, das in so vielen Spielberg-Filmen zu finden ist und fast schon Meme-Qualität hat. Peele zitiert nun Spielberg, wirft ebenfalls teils atemberaubende Bilder auf die Leinwand, versucht aber gleichzeitig, die oft unreflektierte Begeisterung des Publikums für immer neue, immer extremere Schauwerte, die das moderne Blockbuster-Kino so austauschbar gemacht haben, zu hinterfragen und kritisieren.

Gleichzeitig Blockbuster und Kritik am Blockbuster, gleichzeitig Genrefilm und Dekonstruktion von Genremustern: „Nope“ will viel sein und ist auch viel, aber nicht wirklich rund. Enorm viele Gedanken, Ideen, Ansätze, Verweise und Metaphern packt Jordan Peele in 130 Minuten, filmt oft herausragende Szenen, doch die erzählerische Geschlossenheit seines Meisterwerks „Get Out“ erreicht er nicht. Die enormen Freiheiten, die Peele nach zwei für wenig Geld gedrehten Hits hatte, nutzte er nun für einen sehr teuren Film, der zwar voller Ideen ist, dessen Teile sich aber nicht zu einem großen Ganzen formen. Was in der Karriere Jordan Peels als Nächstes kommt, darauf darf man aber dennoch unbedingt gespannt sein.

Nope • USA 2022 • Regie: Jordan Peele • Darsteller: Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Steven Yuen • ab 11. August im Kino

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