20. Januar 2019 1 Likes

Schwarzes Schaf unter Superverbrechern

Reanimierter Klassiker mit Bildungsauftrag: Netflix’ neue Trickserie „Carmen Sandiego“

Lesezeit: 4 min.

Wo Carmen Sandiego neuerdings steckt? Na, auf Netflix! Die jüngste Animationsserie, die der Streaming-Riese selbst in Auftrag gab, heißt in der Neufassung schlicht „Carmen Sandiego“. Die diebische Titelheldin mit dem roten Trenchcoat und dem riesigen Schlapphut ist aber eigentlich eine alte Bekannte und durchaus eine Berühmtheit der Popkultur. Bereits 1985 kam „Where in the World is Carmen Sandiego?“ auf den Markt, das erste interaktive Krimi-Computerspiel mit Bildungsauftrag. Über die Jahre folgten weitere Games und eine Trickserie, die in den 90ern auch in Deutschland ausgestrahlt wurde. Der Netflix-Reboot, dessen erste Season neun Folgen umfasst und seit 18. Januar gestreamt werden kann, macht Neulingen den Einstieg ins Franchise jedoch denkbar einfach: Einem kurzen Prolog, der die Meisterdiebin in Rot erstmals bei der Arbeit zeigt, folgt eine Pilotdoppelfolge, die Carmens Kindheit und Origin aufschlüsselt und die Basis für ihre folgenden Abenteuer schafft.

In der frischen Trickserie ist Carmen eine in Buenos Aires aufgelesene Waise, die auf einer abgelegenen Insel im Internat der Verbrecherorganisation V.I.L.E. aufwächst. Hier werden die Superdiebe von Morgen ausgebildet und dabei gleich zu halben James-Bond-Bösewichten und Superschurken gemacht. Wen wundert’s: Ihr Training obliegt u. a. einer verrückten Wissenschaftlerin und einem Samurai. Die kleine Carmen hat den Codenamen Black Sheep (Schwarzes Schaf) und will mit den älteren Schülern mithalten, die beste Diebin von allen werden. Das heißt, bis sie erkennt, dass Stehlen mehr als ein Spiel ist und V.I.L.E. bereitwillig Menschenleben raubt. Daraufhin wendet das Schäfchen sich von der wölfischen Herde ab, nimmt die Identität von Carmen Sandiego an und macht V.I.L.E. mit ihren Beutezügen das Bösesein um einiges schwerer. Unterstützt wird Carmen vom Hacker namens Player – eine nette Einbindung der Game-Ursprünge – und dem Geschwisterduo Zack und Ivy, die für Fahrzeuge und anderes sorgen. Während die rote Räuberin mit dem Herzen aus Gold ihren früheren Klassenkameraden und Mentoren zwischen Ecuador und Holland in die Suppe der Skrupellosigkeit zu spucken versucht und z. B. Biowaffen und Gemälden nachjagt, wird sie allerdings zugleich von Vollzugsbehörden gehetzt …

Die Netflix-Neuinterpretation der multimedial erfolgreichen Diebin, die sich seit fast 35 Jahren im Geschäft hält, liebäugelt in dieser Variation des Stoffes schwer mit dem Spionage/Geheimagenten-Genre – und das steht Carmen und ihren Abenteuern, die von einem gelungenen Vorspann eingeleitet werden, gar nicht schlecht zu Gesicht! Außerdem setzt die Carmen Sandiego des Jahres 2019 noch mehr als ihre früheren Inkarnationen auf Hightech, wobei sich die Drohnen oder Tauchanzüge wesentlich geerdeter anfühlen als die Gadgets der vorherigen Serienadaption (sieht man einmal von den EMP/Todesstrahl-Stäben der Fieslinge ab). Der Bildungsauftrag, der seit den ersten Pixeln zum Franchise gehört, wird in der Netflix-Auslegung mit Infodumps und Fakten zum internationalen Schauplatz und zum kulturellen Hintergrund der jeweiligen Episode abgehandelt, was manchmal schon ein bisschen plump wirkt, alles in allem aber nicht weiter stört. Da ist die viel zu lange Origin, für die ganze zwei maue Folgen verbraten werden, direkt am Anfang ein viel größerer Stolperstein, zum Glück steigert sich die Serie danach auf Anhieb massiv. Besonders die ruhige, coole Inszenierung sowie die gediegenen Animationen und Farben wissen zu gefallen. Beim ausgewogenen, nie gehetzten Storytelling merkt man natürlich die jahrelange Erfahrung im Trickserienmetier, die Creator und Showrunner Duane Capizzi einbringt. Der Amerikaner arbeitete u. a. an der mit dem Emmy ausgezeichneten Serie „Transformers: Prime“, der exzellenten „Men in Black“-Trickserie, den spaßigen „Jackie Chan Adventures“, den animierten Fortsetzungen der Jim-Carrey-Filme „Die Maske“ und „Ace Ventura“, der „Starship Troopers“-Trickserie, diversen DC-Animationsprojekten mit Batman und Co. und an der TV-Umsetzung von Frank Millers und Geof Darrows Comic „Big Guy & Rusty“. Capizzi fällt also definitiv in die Kategorie: Routinier! Davon profitiert die Rückkehr von Carmen, die aufgrund ihrer lateinamerikanischen Herkunft übrigens schon vor Netflix’ Neuausrichtung und dem Drang nach Diversität in allen Medien nicht nur eine Vertreterin, sondern geradezu eine Vorreiterin starker, vielfältiger Frauenfiguren war. Hut ab.

„Carmen Sandiego“ hat neben dem mäßigen Piloten im Grunde bloß ein Problem: Die Serie kommt zu selten über guten, unterhaltsamen Standard hinaus. Das wäre nicht weiter tragisch, hätte Netflix mit „She-Ra und die Rebellen-Prinzessinnen“ vor Kurzem die Messlatte für Trickserien-Reboots klassischer Franchises nicht selbst dermaßen hoch gelegt. Und wer im animierten Geheimagenten-Ressort wildert, muss sich zudem mit „Kim Possible“ vergleichen lassen, und da kann Carmen ebenfalls nicht ganz mithalten. Noch nicht. Vielleicht stiehlt die Diebin der Konkurrenz in einer zweiten Season ja im großen Stil die Show. Das Potential dazu hätte sie nach dieser Wiedereinführung und Modernisierung allemal.

Bilder: © 2018 Netflix

Carmen Sandiego – Staffel 1 • Creator & Showrunner: Duane Capizzi • Laufzeit: 9 Episoden mit je ca. 25-30 Min.

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