29. September 2023 2 Likes

„Something in the Dirt“: Ab in den Kaninchenbau

Minimalistisches Sci-Fi-Verschwörungskammerspiel

Lesezeit: 3 min.

Eins wird von „Something in the Dirt“, dem neusten Streich des überaus talentierten Kreativduos Aaron Moorhead und Justin Benson („The Endless“, „Synchronic“) garantiert im Gedächtnis haften bleiben: An einem Windspiel aneinandergereihte Matroschka-Puppen, die im schäbigen Vorhof der beiden Protagonisten John Daniels (Aaron Moorehead) und Levi Danube (Justin Benson) hängen, sanft vor sich hin schaukelnd. Nicht nur ein prägnantes Bild, sondern auch die narrative Klammer eines Films, der einerseits unterhaltsam daherkommt und mit dunklem Humor zu punkten weiß, es anderseits aber den Zuschauern nicht allzu leicht macht. Was schon bei der formalen Seite anfängt, denn es gibt über einen Zeitraum von 120 Minuten im Prinzip nicht viel mehr zu sehen, als zwei Männer, die reden und rauchen.

Die zunächst konventionelle Ausgangssituation – Daniels und Danube stoßen auf ein fliegendes Objekt – löst sich schnell in kleine Partikel auf. Die Handlung wechselt von einem Thema zum Nächsten, lässt die beiden und damit den Zuschauern auf der Suche nach Erklärungen, beim Basteln einer allumfassenden Meta-Theorie, in einem Kaninchenbau aus Pseudo-Wissenschaften, Geheimbünden und Verschwörungstheorien verschwinden, in dem zusehends auch die Erzählebenen verwischen: Da die beiden in den übernatürlichen Erlebnissen die Chance ihres Lebens wittern, wollen sie einen Dokumentarfilm mit Namen „Something in the Dirt“ für Netflix drehen. In diesem Kontext wird das Geschehen immer mal wieder von Interviewsegmenten durchbrochen, in denen diverse Gesprächspartner rückblickend die Arbeit an dem Projekt kommentieren, aber es wird nie deutlich, ob man den Film eventuell – zumindest in Teilen – nicht bereits guckt oder ob vielleicht doch ein anderer Film gemeint ist, von dem man allerdings absolut nichts zu sehen kriegt.

Es geht in „Something in the Dirt“ um die Pythagoreer, das Bermuda-Dreieck, das Rosenkreuzertum, Stonehenge, MK Ultra, Cointelpro, Numerologie, die Freimaurer und vieles mehr. Das Kammerspiel ist unglaublich verschlungen, verwirrend und verweigert eine Auflösung oder gar einen „Twist“. Doch allmählich schält sich noch ein ganz anderes Thema heraus, das sich allmählich in den Vordergrund drängt, ohne aber je so richtig zentral zu werden. Der Film erzählt im Kern von zwei verlorenen Seelen, die nahezu verzweifelt nach jedem nur irgendwie sinnstiftenden Strohhalm in einem von Enttäuschungen geprägten Leben suchen, weil sie sich ein Scheitern nicht eingestehen wollen. John ist ein Ex-Mathelehrer, der aus einer in die Brüche gegangenen Ehe kommt, einer apokalyptischen Kirche sein ganzes Geld überlassen hat und jetzt mit Hilfsjobs über die Runden kommt. Levi ist ein Speerfischer, der einst große Ambitionen hegte, aber als Barkeeper gestrandet ist und deutlich zuviel trinkt. Die beiden fühlen sich fremdbestimmt und die wenigen Außenaufnahmen, Waldbrände, Kojoten auf der Straße, Helikopter, die über den Köpfen hinwegbrausen, verstärken das Gefühl des Ausgeliefertseins noch. Die Kamera filmt dementsprechend in kurzen Sequenzen aus der Position eines unsichtbaren Dritten heraus. Wobei „Something in the Dirt“ ebenso ein Lehrstück in Sachen Manipulation ist. Es bleibt unklar, inwieweit John, der mit zunehmender Laufzeit nahezu soziopathische, ungeheuer manipulative Züge entwickelt und entsprechend auf Levi einwirkt, nicht auch den Zuschauer steuert, denn die Handlung macht am Ende noch einen weiteren Schlenker, der die Frage aufwirft, inwieweit das Gesehene direkt auf Daniels zurückzuführen ist.

Das Schöne ist: Moorhead und Benson geben ihre Charakteren trotz allem Hang zum Irrsinn, trotz amüsanter Dialogen wie „I might be one of the first people in the universe to taste an inter-dimensional fruit“ nie zum Abschuss frei, sondern nähern sich ihnen mit Empathie. Und da beide fantastische Darsteller sind, verzeiht man gerne, dass ihr Kammerspiel überladen und vor allem etwas zu lang daherkommt. Wobei Benson Moorehead fast schon ein bisschen die Show stiehlt, sich in seine Figur in paar leisen Momenten die ganze Einsamkeit unserer modernen Welt spiegelt.

Something in the DirtUSA 2022 • Regie: Justin Benson, Aaron Moorhead • Darsteller: Justin Benson, Aaron Moorehead • seit 28. September im Kino

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