„Synchronic“ - Früher war alles besser? Von wegen!
Ein weiterer Volltreffer von Benson & Moorhead
„Weißt Du, wodurch sich unsere Leben unterscheiden? Was wirklich den Unterschied ausmacht?“ - „Was?“ - „Zufällige Ereignisse, Chance und Glück. Manche glauben es wäre Gott, das Universum oder was zum Teufel auch immer – aber das ist es.“ Viel treffender kann man das Leben wohl kaum auf den Punkt bringen und viel schöner kann man den Moment eines solchen Dialogs kaum gestalten: Zwei langjährige Freunde schlendern mit einer Flasche Hochprozentigem nachts durch die menschenleeren Straßen einer aus den Fugen geraten Welt.
Steve Denuba (Anthony Mackie) und Dennis Dannelley (Jamie Dornan) sind beste Freunde und arbeiten in New Orleans als Sanitäter. Dennis hat zwar Frau und Tochter, aber die unsozialen Arbeitszeiten wirken sich nicht gerade günstig auf das Familienleben aus. Steve wiederum hat weder Frau noch Freundin, dafür aber einen Hund mit Namen Hawking und füllt seine Freizeit mit One-Night-Stands und raue Mengen an Alkohol. Eines Tages erfährt Steve, dass sich in seinem Gehirn ein ziemlich großer Tumor breitgemacht hat, der ihn möglicherweise frühzeitig auf den Friedhof bringen könnte, allerdings verrät er seinem Kumpel nichts. Zeitgleich bekommen es die beiden mit einer Reihe an mysteriösen Todesfällen – unter anderem stirbt eine Frau an einem giftigen Schlangenbiss, obwohl es in ihrem Umfeld eigentlich keine giftigen Schlangen geben konnte – zu tun, die offenbar alle mit einer neuartigen Designerdroge namens Synchronic in Verbindung stehen. Als Brianna, Dennis’ Tochter, nach dem Besuch einer Party verschwindet, beginnt Steve Synchronic selbst auszuprobieren und entdeckt dabei, dass es sich um eine Zeitreisepille handelt, die einen, je nachdem, wo man sie einnimmt, an unterschiedlichen Punkten der Menschheitsgeschichte versetzt. Der Todkranke vermutet, dass Brianna in einer anderen Zeit feststeckt und macht sich auf die Suche …
Aber bis es dazu kommt, vergeht einiges an Zeit. Das Allrounder-Duo Justin Benson und Aaron Moorhead, welches an dieser Stelle ja schon mehrfach abgefeiert wurde, geht auch im neusten, erstmals mit Stars besetzten und von einem Major-Verleih vertriebenen Streich nur wenig Kompromisse ein und so schlingert „Synchronic“ im entspannten Rhythmus mühelos zwischen Neo-Noir, Thriller, Buddy-Movie, Science-Fiction, Drama und sanfter Comedy ohne je richtig greifbar zu werden. Das Geschehen ähnelt dabei mehr einem elegant vorbei fließenden Bewusstseinsstrom als einem stringenten Spielfilm. Dabei stehen im Mittelpunkt des Interesses nicht mal so sehr die einzelnen Bausteine, die Frage nach der genauen Funktionsweise der Wunderdroge wird beispielsweise mit einer hingeworfenen Halbantwort bedacht, als vielmehr weitaus essentiellere Gesichtspunkten: Wie verhalten sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zueinander? Und wie findet der Mensch einen Platz in einer Welt, die dem willkürlich hinein geschleuderten Individuum völlig indifferent gegenübersteht? Der letztere Punkt lehnt sich natürlich (die Kamera blickt immer mal wieder, wie zufällig, ehrfurchtsvoll in den bedrohlich wirkenden Nachthimmel) klar, wenngleich unausgesprochen, an H.P. Lovecrafts Konzept des cosmicism an und folgerichtig wird New Orleans bildgewaltig als chaotischer, halbapokalyptischer Höllenschlund an der Grenze zum Irrealen inszeniert, in dem dank Synchronic selbst die Zeit kein zuverlässiger Parameter mehr ist und dem die Menschen eher ausgeliefert sind als ihn zu bewohnen.
Benson und Moorehead belassen es aber beim sanften Hauch einer Ahnung, dass im Hintergrund eventuell außerweltliche Kräfte wirken könnten, sondern konzentrieren sich auf das menschliche Leuchten in der Dunkelheit. Die beiden Sanitäter Steven und Dennis (von Dornan und Mackie mit stimmiger Chemie perfekt verkörpert) versuchen entgegenzuwirken, ihr zufälliges Dasein bedeutet für die, die an dieser Welt zerbrochen sind, wenn auch nicht immer, Glück und Chance. Die Freunde müssen aber ebenso für sich selbst begreifen, dass man beides erst erkennen muss. Das mag sich vielleicht etwas profan anhören und sicherlich bemühen sich die Macher im Finale einen Tick zu sehr den Zuschauer emotional ans Bord zu holen (hier findet sich eine gewisse Parallele zum Vorgänger „The Endless“), anderseits kann man dem Unterfangen trotzdem kaum böse sein, zumal bei aller Bedeutungslast der Spaß nicht vergessen wird. So heißt es an einer Stelle zum Beispiel frech: Scheiß auf „Zurück in die Zukunft“. Die Vergangenheit war die Hölle. Der fünfte Film von Benson und Moorhead funktioniert somit genauso prima ganz schlicht und einfach als steil gereckter Stinkefinger in Richtung der in den letzten Jahren etwas arg ausgearteten Nostalgie-Welle. So oder so, ein weiterer Volltreffer zweier Ausnahmetalente. Man kann kaum glauben, dass als Nächstes eine Superhelden-Serie für Marvel („Moon Knight“) auf dem Programm steht. Aber wir müssen nun mal eben alle Rechnungen zahlen und dafür ab und an unwürdige Dinge tun. Nicht nur Steven und Dennis leben in einem halbapokalyptischen Höllenschlund an der Grenze zum Irrealen
„Synchronic“ ist als Blu-ray, DVD und VOD erhältlich. Abb. Universal Pictures Germany GmbH
„Synchronic“ (USA 2019) • Regisseure: Justin Benson, Aaron Moorhead • Darsteller: Jamie Dornan, Anthony Mackie, Ally Ioannides, Katie Aselton, Bil Oberst Jr., Natasha Tina Liu, Martin Bats Bradford
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