5. Oktober 2023

„Total Trust“ – Schöne Neue Welt?

Eine Dokumentation zeigt in Ansätzen, wie der chinesische Staat seine Bürger überwacht

Lesezeit: 3 min.

Im Jahre 2021 wurde die weltweit eine Milliardste Überwachungskamera installiert, die aber natürlich nicht gleichmäßig über die gesamte Erde verteilt sind. Während man CCTV-Kamera in den ärmeren Ländern des globalen Südens wohl nur in den allerwichtigsten Regierungsgebäuden (und vor den Residenzen der wenigen Reichen) findet, sind sie aus dem Stadtbild westlicher Metropolen nicht mehr wegzudenken. Genaue Zahlen zu bekommen ist schwierig, die Angaben für Berlin schwanken etwa zwischen 20.000 bis 40.000. Was sich viel anhört, aber nichts im Vergleich zu den knapp einer Millionen Kameras, die die Bürger Londons auf Schritt und Tritt beobachten.

Und selbst das ist wiederum Nichts im Vergleich zu den sagenhaften 700 Millionen Kameras, die die knapp 1,4 Milliarden Menschen in China überwachen.

Einige von ihnen werden in Jialing Zhangs Dokumentarfilm „Total Trust“ porträtiert, der ein hochinteressantes Thema umkreist, sich dabei aber aus produktionstechnischen Umständen sehr auf seine Protagonisten fokussiert. Diese sind Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtler, die vom chinesischen Staat auf die ein oder andere Art drangsaliert wurden und werden, teils Jahre im Gefängnis verbringen mussten, etwa im Zuge des sogenannten 709 Crackdowns, bei dem im Jahre 2015 hunderte Aktivisten verhaftet wurden. Zum Beispiel Weiping Chang, dessen Frau Zijuan Chen im Zentrum des Films steht. Seit Jahren bemüht sie sich um die Freilassung ihres Mannes, schreibt Petitionen, steht jedoch immer wieder einem geradezu Kafkaesken System gegenüber, das keinen Protest duldet.

Dann die Journalistin Sophia Huang Xuequin, die im Zuge der #MeToo-Bewegung gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum zu protestieren begann und, bevor sie in das Vereinigte Königreich reisen konnte, verhaftet wurde. Ein im repressiven System China offensichtlich heikles Thema, dem sich die Regisseurin Jialing Zhang nur aus der Ferne widmen konnte. Denn seit ihrem Film „Land der Einzelkinder“, in dem die umstrittene Ein Kind-Politik thematisiert wurde, kann sie ihre Heimat nicht mehr betreten und lebt im Exil.

Für die Dreharbeiten zu „Total Trust“ bedeutete dies nun, das nicht die Regisseurin selbst vor Ort drehen konnte, sondern befreundete Filmemacher und Aktivisten. Ein erheblicher Teil fand vermutlich auch aus Sicherheitsgründen in Innenräumen statt, beschränkt sich auf das Berichten über Formen der Überwachung, während tatsächliche Bilder der Überwachung kaum zu realisieren scheinen – natürlich gerade wegen dieser Überwachung.

Auch Interviews mit Vertretern des chinesischen Staates, die etwa das gleichermaßen faszinierende, wie erschreckende, durch und durch dystopische Sozialkredit-System erklären oder gar verteidigen, sind kaum zu führen. Bei diesem System können die Bürger Punkte sammeln oder verlieren, allerdings gibt es nur etwa 190 Methoden Pluspunkte zu sammeln, aber über Tausend, Minuspunkte zu bekommen! Eine Beschwerde bei einer Behörde kostet etwa 30 Punkte, Extravaganzen bei der Hochzeit 20, ebenso viel wie Online Gerüchte zu verbreiten. Gerade diese Aspekte, die nicht objektiv zu messen sind wie etwa bei Rot über die Ampel zu gehen (5 Minuspunkte) deuten die fragwürdigen, willkürlichen Konsequenzen dieses Systems an. Zwar gibt es auch im Westen schon Bonussysteme bei Krankenkassen, aber diese funktionieren (noch, darf oder muss man wohl sagen!) nur als Belohnung und nicht als Strafe oder Kontrolle. In China dagegen kann man mit einem schlechten Sozialkredit-Score nur schlechtere Flug- oder Bahn-Tickets kaufen oder wird bei Kreditanträgen oder Beförderungen schlechter gestellt.

Welche Konsequenzen solch ein Überwachungssystem, das sicher nicht zufällig an Strukturen der Überwachung durch Vertreter der Staatssicherheit oder auch nur der Nachbarn erinnert, wie man es aus totalitären Staaten kennt, wird sich zeigen. Noch gibt es im Westen eine zu große Ablehnung solcher Methoden, aber da der Mensch durch oft rund um die Uhr Online freiwillig enorme Daten und Informationen preisgibt, wird das Ideal (oder die Angst) des gläsernen Menschen immer mehr Wirklichkeit. „Total Trust“ gibt einen interessanten Einblick in das, was uns blühen könnte: Eine Welt der kompletten Überwachung, die noch nicht einmal von einem autokratischen Regime durchgeführt werden muss, sondern in das sich Bürger allzu oft freiwillig, wenn auch unwissend begeben.

Total Trust“ • Deutschland/ Niederlande 2023 • Regie: Jialing Zhang • Kinostart: 5. Oktober 2023

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