Befriedigung in bockschwer
Das knackige Cartoon-Jump&Run „Cuphead“
Man sollte ja meinen, dass wir aufgrund der fast grenzenlosen Zugänglichkeit der allermeisten kontemporären Games längst der Frustkultur früherer Jahre abgeschworen haben. Welcher schon etwas betagterer Zocker erinnert sich nicht an all die Stunden, die er oder sie zähneknirschend und voller Frust mit schweisnassen Händen verbracht hat, um Klassiker früherer Konsolen- wie Arcadegenerationen dann doch nicht einmal zur Hälfte durchspielen zu können. Gamer, die Titel wie Alex Kidd in Miracle World, Castlevania oder Ghosts´n Goblins durchspielen konnten, durften sich unter Gleichgesinnten wie Helden feiern lassen.
Über den nun völlig gegenteiligen Effekt lässt sich natürlich - wie oft zu lesen ist - selbstgerecht die Nase rümpfen, der sich nicht nur in höchst despektierlichen Begriffskulturen wie Casual Gaming widerspiegelt und zur möglichst breiten Gewinnabschöpfung darauf ausgerichtet ist, aus jedem Kunden einen Gamer zu machen - doch wer sehnt sich wirklich nach dem Zockerfrust früherer Jahre zurück, als man noch froh sein durfte, zumindest bei einigen Titeln umständliche Speichercodes ausschreiben zu können, um nicht wieder alles von vorne angehen zu müssen? Sicher, zum Teil war das schlicht den Grenzen der Technik geschuldet.
Doch anscheinend gibt es trotz technischen Fortschritts auch in dieser Hinsicht mehr Frustfreunde als man annehmen könnte, denn bockschwere Blockbuster wie die erfolgreiche Dark Souls-Reihe definieren sich ja gerade über ihr offensiv ausgestelltes Potenzial in dieser Kategorie. Wer sich auf den harten Durchhaltewettkampf mit sich einlässt, scheint die archaische Seite des Gamings abseits üblicher Spaßigkeit - zumindest temporär - als willkommene Abwechslung anzuerkennen: Nur die ganz Harten, so manchmal das Credo, kommen wirklich weiter bis zum Schluss. Der bedauernswerte Rest sind eben dann eierlose Luschen und verspühlte Weicheier, die ohnehin nicht zu den „echten“ Gamern gehören.
Wer bis hierher gelesen hat, wird sich vielleicht fragen, was das nun mit den bunten Cartoonbildchen zu tun hat, die dem schon seit längerem für Xbox One und PC erhältlichen Jump´n´Run Cuphead entnommen sind. Kann denn Cartoon wirklich fristrierend sein? Ja, es kann! Cuphead ist schlicht das vielleicht cleverste Produkt der Retrofrustrationswelle, denn dieses Kleinod vermag es mit seinem verspielten Cartoon-Look der 30er, genau die luftig leichte Ästhetik so vieler früher Überhart-Exempel geschickt reflexiv zu übersteigern und ihr damit eine Art Denkmal zu setzen. Mit den beiden Tassenmännchen Cuphead und Mugman treten wir wahlweise allein oder zu zweit gleichzeitig vor dem Schirm gegen riesige Karotten mit Laserblick, boxende Ventilatorenfrösche, fliegende Zigarettenstummel oder ausgebuffte Gestaltwandler an. Absurd ist daher in diesem Kosmos gar kein Ausdruck.
Und das alles dann auch nur, weil wir im Spielcasino einen Deal mit dem Teufel abgeschlossen haben, was ähnlich abstrus wie reduziert daherkommt wie soviele pseudonarrative Motivationsanstupser, die wir von Super Mario und Co kennen. Aber ähnlich wie seine Vorbilder schert sich der Titel nicht um solche Kleinigkeiten und legt mit einer sehr direkten Steuerung, schnellem Gameplay ohne Atempause und jeder Menger schöner Einfälle los. Gediegenes Taktieren oder gar ein Verweilen, um sich die liebevoll ausgemalten Spielereien in Vorder- wie Hintergründen näher anzusehen, erlaubt Cuphead nie.
Die permanent dauerangreifenden Gegnerhorden, die gerne aus allen Richtungen und ohne echte Reaktionszeit unsererseits auf uns zustürmen, lassen selbst auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad des gut und gerne 12-15 stündigen Adrenalinrauschs inklusive nostalgischer Zwischensequenzen und lässig altmodischen Jazz-Klängen keinen Zweifel daran, dass es auch heutzutage keine mittelalterliche Düsterstimmung wie in Dark Souls braucht, um Spieler konsequent in den Wahnsinn zu treiben.
Während wir in manchen Levels auf dem Weg zum obligatorischen Bossfight über Hindernisse springen müssen, während uns überall Schüsse und Kollisionen auf Trab halten, geht es in manchen Abschnitten wie in einem klassischen Sidescroller-Shooter a la R-Type zu. Beim örtlichen Schweinchenhändler dürfen wir uns zwar mit Extras und verschiedenen Waffen gegen Bares eindecken, doch wirklich einfacher wird das Geschehen dadurch eigentlich nicht.
Und dennoch: Gerade die Kurzweiligkeit der Level und der zwar, wie nicht oft genug betont werden kann, unfassbar schwere, aber eben aufgrund des witzigen Designs sehr belohnende Ablauf, machen gerade zu zweit richtig Laune. Man braucht zwar Biss, um überhaupt ein paar Abschnitte zu überstehen, doch anders als viele andere Frusttitel bringt Cuphead immer wieder mit seinen Bossgegnern oder einfach nur den voller süffisanter Anspielungen durchsetzten, dazu handgezeichneten Hintergründen einen Schau- und Spielwert, der dann selbst nach dem x-ten Ableben doch noch Spaß macht und motiviert.
Fazit
Wunderschöner Cartoon-Stil, viele Ideen und in jeder Hinsicht deutlich zu schwer, um ein größeres Publikum anzusprechen - das ist Cuphead. So seltsam es speziell für Laien mit Blick auf die Screenshots klingen mag, dieses Game ist weder etwas für Kinder noch für normale Durchschnittsspieler, die weder Zeit noch Muse haben, sich mal in einen einzigen Abschnitt länger als einen Abend reinzufuchsen. Doch im Gegensatz zu vielen Vertretern gerade früherer Jahre, die viel zu oft verklärt werden, belohnt Cuphead die wahrscheinlich wenigen dranbleibenden Spieler, die sich vor allem im launigen Zweispielermodus durch die Massen an Gegnern, Schüssen und Hindernisse schlingern.
Inszenatorisch ist Cuphead trotz überschaubarem Anspruch und Budget ein echter Hingucker und auch an der flüssigen Steuerung liegt es beileibe nicht, wenn wir wieder und wieder das Zeitliche segnen. Und gerade weil der Titel nicht im Verdacht steht, einen ähnlich sonderbaren Kult um seinen Schwierigkeitsgrad aufzubauschen wie manch anderer Titel, verdient sich dieses Jump&Run das positive Prädikat „besonders frustvoll“. Und das wird mit Überzeugung von einem Rezensenten verliehen, der selbst nicht bis zum letzten Endboss gekommen ist und früher schon mal nachts aufwachte, wenn er an die oben genannten Titel und deren Schwierigkeitsgrad dachte.
Cuphead • Studio MDHR Entertainment Inc. • Jump&Run
Abb. © Studio MDHR Entertainment Inc.
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