2. Mai 2018 3 Likes

Erst das Fressen, dann die Moral

Die Aufbau-Simulation „Frostpunk“ macht uns zum eiskalten Survival-Strategen

Lesezeit: 4 min.

An Survival-Games, die uns mit moralischen Entscheidungsdilemmata, beinhartem Ressourcenmanagement und dystopischen Gesellschaftsentwürfen fesseln, fehlte es in den letzten Jahren keineswegs. Aber Titel, die alle drei genannten Faktoren gleichermaßen im Fokus behalten und sie zu einem stimmigen Gleichklang bringen können, gibt es wiederum nicht allzu oft.

11 Bit Studios, die bereits mit ihrem schwermütigen Nachkriegs-Simulator This War of Mine Bekanntheit erlangten, haben nun mit dem frisch für PC erschienen Frostpunk eine Aufbau-Simulation an den Start gebracht, die unter diesem Gesichtspunkt genau das Richtige für Survival-Fans sein dürfte. Denn unter dem Gewand einer Städtebau-Simulation verbirgt sich ein knallharter, aber eben deshalb höchst packender Gesellschaftsentwurf, der ähnlich wie This War of Mine vor allem konsequent negativ verfolgt wird.

Schon im Intro macht der Titel klar, wie schlimm die Lage steht. In einer alternativen Zeitlinie im Jahr 1883 wird die Erde von einer neuen Eiszeit überrascht, sodass den Menschen nichts anderes übrigbleibt, als sich in den verbleibenden Häusern vor der Kälte zu schützen. Jede Form von Sozialleben ist unter diesen Extrembedingungen kaum noch möglich. Als Gerüchte in Umlauf geraten, es gäbe im Norden Englands Kohlevorkommen, bricht eine Expedition von London aus auf, um eine neue und womöglich letzte Zuflucht zu finden. Am Ende der Reise werden nur 80 Menschen übrigbleiben, die nun versuchen müssen, den Aufbau einer überlebensfähigen Kolonie voranzutreiben.

Hier kommen wir ins Spiel, denn wir wurden zum Anführer auserkoren und haben nun die Befehlsgewalt über eine Truppe völlig verzweifelter Menschen, die von der Naturgewalt auf ihre bloße Existenz zurückgeworfen wurden. Anders gesagt: In einer völlig vereisten Umwelt, in der es kaum noch Hoffnung auf ein langfristiges Auskommen gibt, ist unser Status als Anführer – wie alles – stets prekär. Treffen wir (zu viele) falsche Entscheidungen, ist unser Leben auch aufgrund unserer eigenen Leute in Gefahr. Daher geht es Frostpunk letztlich darum, selbst in den schlimmsten Situationen einen – nun ja – kühlen Kopf zu bewahren.

Und an hundsgemeinen bis abgrundtief fiesen Problemen mangelt es im Verlauf der über 20–stündigen Kampagne (je nach Einstellung individueller Parameter wie Wetter oder Wirtschaft) wahrlich nicht. Zu Beginn fehlt es beispielsweise an praktisch allem, sodass die ersten Ressourcen mit bloßen Händen abgebaut werden müssen, um kleine Zelte oder eine erste Werkstatt zu errichten und möglichst bald mittels Kohle für etwas Wärme zu sorgen. Haben wir die ersten notdürftigen Stabilisierungen hinter uns, drängen sich allerdings schon die nächsten Fragen auf: Bauen wir lieber auf kurzfristige (Tages-)Erfolge oder versuchen wir tatsächlich mit langfristiger Planung, unsere Kolonie zu schützen?

Dazu gehören Entscheidungen wie das Aussenden von Suchtrupps nach Ressourcen, der Umgang mit Verletzten, Kranken und Toten (Nahrung?), die Möglichkeit der Einführung von Kinderarbeit oder etwa die Errichtung einer Kampfarena, um die Laune der Leute oben zu halten. Richtig gut geht dabei eigentlich nie eine Entscheidung aus und so müssen wir neben der Temperaturanzeige auf unserem Interface vor allem die Barometer für Hoffnung und Unzufriedenheit stets im Auge haben, um unser Völkchen hinsichtlich dessen Belastbarkeit einschätzen zu können. Auf Wunsch können wir die Zeit sogar beschleunigen oder verlangsamen, wenn wir über die Verfügung von Arbeit und Rohstoffen entscheiden und via Indikator wichtige Ereignisse angekündigt bekommen. Da die Menüführung nicht überladen wurde, kann Frostpunk auch in Sachen Übersichtlichkeit und Spielbarkeit überzeugen.

Im Verlauf der Kampagne erhalten wir so Zugriff auf mehrere Technologien, die wir via Upgrades weiter ausbauen und so aus unserer Siedlung sukzessive eine schick üppige Steampunk-Stadt errichten können. Vor allem ein Aspekt wiegt mit zunehmender Spieldauer immer schwerer und sorgt für Beklemmung, nämlich das Verschwinden jeglicher Individualität. Möchte man anfangs bei der kleinen Gruppe noch an Einzelschicksale denken, überwiegt letztlich doch die kalte Notwendigkeit, nur noch die Masse zu sehen und so das Wohl weniger zu vernachlässigen oder gar zu opfern.

Vielleicht machen es uns die Entwickler mit ihrer extrem hohen Dichte an fundamentalen (Akut-)Entscheidungen stellenweise fast zu einfach, Menschen wie Ressourcen zu handhaben, aber anders als andere Strategie-Titel verzahnt Frostpunk diesen Aspekt deutlich drastischer und damit stimmiger mit seiner Thematik. Sollten in den nächsten Monaten noch weitere Szenarien sowie ein Sandbox- bzw. Open-End-Modus noch hinzugefügt werden, könnte die außerdem auch selbst auf normalen PCs schick aussehende und sehr atmosphärische Postapokalypse sogar noch weiter an Qualität und spielerischer Tiefe zulegen.

Fazit

Mit Frostpunk serviert 11 Bit Studios einen thematisch schwer verdaulichen, aber gut durchdachten und in sich stimmigen Mix aus Aufbau-Simulation und Survival-Game. Spielerisch gehen Menüführung und Co gut von der Hand und sowohl Grafik wie Sound sorgen für eine echte Gänsehautatmosphäre im viktorianischen Postapokalypse-Winter, der immer wieder unsere Kolonie bedroht und zu tiefgreifenden Entscheidungen zwingt.

Gerade bei der hohen Frequenz an Krisen und deren möglichen Folgen scheint es keine Chance zu geben, moralisch ungeschoren davon zu kommen. Aber da es genau das ist, was uns Frostpunk offenkundig vermitteln will, nämlich dass gerade das Individuum im Angesicht des drohenden Untergangs und der Rettung der Mehrheit nichts zählt bzw. stellvertretend für jede Form von Recht und Menschlichkeit zur Disposition steht, gelang den Machern ein packendes Spielerlebnis, das absolut hält, was es verspricht.

Frostpunk • 11 Bit Studios • Survival/Aufbau-Simulation

Abb. © 11 Bit Studios

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