Der mit dem Kreuz tanzt
Warum es „Wolfenstein 2: The New Colossus“ absolut nicht verdient hätte, auf das Fehlen authentischer NS-Symbole reduziert zu werden
Immer wieder das gleiche Kreuz. Und in diesem Fall sogar nicht nur bildhaft gesprochen. Denn die Shooter-Reihe Wolfenstein musste schon seit jeher für einen gerade heute besonders absurden Streit über die Verwendung verfassungsfeindlicher NS-Symbole herhalten. Darf ein Hakenkreuz in einem Game auftauchen? Auch zum Start des jüngsten Ablegers, der den nicht nur grafisch modernisierten wie insgesamt sehr geglückten Reboot der Reihe von 2014 auf PS4, Xbox One und PC als reine Singleplayer-Kampagne fortsetzt, gaben verschiedene Medien mal wieder Auskunft darüber, warum laut Rechtsprechung in der deutschen Wolfenstein-Fassung erneut weder historische Insignien des Nationalsozialismus noch deren wahnsinnige Vertreter namentlich korrekt geführt werden dürfen. Der Hintergrund ist so ermüdend wie redundant: Im Gegensatz zu jedem lausigen Historiendrama oder ähnlichen Kulturgütern, schrecken viele, im Grunde leicht feige Publisher im Game-Bereich davor zurück, diese peinliche Pseudo-Differenz zwischen vermeintlich kritischen Medien wie Film oder Roman endlich juristisch einwandfrei klären zu lassen und damit ein längst überfälliges Stück Alltagsbewusstsein zu unterstützen.
Denn wer würde denn wirklich noch daran zweifeln, dass gerade Titel wie Wolfenstein – etwa im Vergleich zu Quentin Tarantinos Inglourious Basterds – perfekt geeignet sind um darzustellen, dass Games (mindestens) genau so kritisch, verkitscht, bedacht oder plakativ mit dem widerlichen Wahn des Faschismus umgehen können wie Filme und Literatur? Dass Marken wie South Park paradoxerweise im Serienbereich alle Tabus brechen dürfen (und gerne auch sollen), ist mit künstlerischer Freiheit glücklicherweise gedeckt. Dass es dem ersten RPG zur Serie von Ubisoft, also South Park: Der Stab der Weisheit, vor ein paar Jahren dann allerdings gerade verwehrt bleiben musste, die allseits bekannte kritische Form der South Park-Satire auch „spielerisch“ mit Nazi-Kühen und ähnlichen Überspitzungen zur Geltung bringen zu können, ist in der heutigen Zeit einfach nicht zu begreifen und hinzunehmen.
Doch ein Gedanke sollte in diesem Zusammenhang ebenfalls durchaus Erwähnung finden: Obwohl der Streit um die Ungleichheit der Kulturgüter innerhalb ihres historisch bis ins Detail erlaubten Umgangs mit schwierigen Themen (wie etwa dem Faschismus) auf jeden Fall final ausgetragen werden muss, sollte sich der Blick gerade bei Titeln wie Wolfenstein 2 nicht allein auf diese Meta-Frage verengen. Denn MachineGames gelingt gerade mit dieser Fortsetzung ein nicht nur im Game-Bereich höchst pointiertes und phasenweise inszenatorisch regelrecht beeindruckendes Stück Faschismus-Kritik, das eben nicht allein mit der Frage „Kreuz oder Nicht-Kreuz“ steht oder fällt.
Anders gesagt: Die rabiaten, oft chaotischen, gerne mal albernen Passagen in der jüngsten Heldenreise des schießwütigen wie ideologisch unbeirrbar gerechtigkeitsfanatischen Avatars B.J. Blazkowicz täuschen bei aller popkulturellen Überdrehtheit nicht darüber hinweg, dass die Entwickler immer wieder eine Grundstimmung erzeugen, in der die Nazis nicht nur zu einem virtuellem Gruselkabinett für ein fröhliches wie vollkommen austauschbares Herumgeballer reduziert werden. Klar, MachineGames löst natürlich nicht die grundsätzlichen ideologischen Probleme des Ego-Shooters als meist fragwürdige „Schießunterhaltung“, doch wie ein intelligenter oder zumindest durchdachter Kriegsfilm, geht Wolfenstein 2 mit seinem Thema eben nicht beliebig oder ausschließlich effekthascherisch um.
Da wäre etwa eine Szene aus der Mitte der Kampagne, in der wir mit Blazkowicz eine Mini-Atombombe mitten in den USA (!) in eine Basis des Regimes (so heißen hier die Nazis) einschleusen müssen, um deren Kommandostruktur explosiv durcheinanderzuwirbeln. Undercover schlendern wir gemäß des alternative History-Ansatzes der Reihe durch ein Amerika, in dem sich Ku-Klux-Klan-Anhänger ganz offen auf der Straße mit uniformierten Regime-Soldaten die Hand schütteln und ganze Straßenparaden den Heldenmut der Nazi-Besatzer unter dem tosenden Beifall der Bevölkerung zelebrieren.
Der Widerstand – also wir und unsere von Outsidern verschiedener Herkunft bevölkerten Mitstreiter – sind definitiv in der Minderheit und eigentlich ziemlich chancenlos gegen einen Rassismus, der sich schon tief in die Alltäglichkeit der ganzen Welt gefressen hat. Wenn wir dann in besagter Szene, die in ihrer überdrehten American-Popart eigentlich schon bedrückend genug wirkt, dann auch noch einen freundlichen Offizier mit einer Vorliebe für Milchshakes antreffen, der mit hinterhältigem Grinsen ähnlich übergriffig mit uns plaudert wie Christoph Waltz als brutaler Nazi-Charmeur in den besten Szenen von Inglourious Basterds, kann es einem schon kalt über die Gamepad-Finger laufen.
Es sind Szenen wie diese, die das in Wolfenstein 2 verfolgte Konzept eines fiesen, uns nie komplett in den üblichen Game-Spaß entlassenden Gesamtbildes prägen. Szenen, in denen etwa der Regime-Führer aka Hitler mit aller menschenverachtender Widerwärtigkeit in bester Iron Sky-Manier auf dem Mars seiner Filmleidenschaft frönt oder die bitterböse Generälin Engel ihre eigene Tochter demütigt, während sie uns den abgeschlagenen Kopf einer unserer Mitstreiterinnen vor die Nase hält und die Lust an der perfiden Qual der Opfer im Vordergrund steht. Auch wenn wir uns in anderen Sequenzen an Bord unserer Kommandozentrale auch mal hemmungslos besaufen oder besagte Tochter von Frau Engel nach ihrer Flucht in den Widerstand bei einigen fremdschämerischen Emanzipationsgehversuchen erwischen – Wolfenstein 2 belässt es nicht wie viele andere Shooter dabei, uns nur mit 1-2 motivischen Häppchen abzuspeisen, sondern versteht es, den Kampf gegen den Totalitarismus als starkes Motiv immer wieder präsent zu halten.
Das gelingt vor allem über eine bemerkenswert gut erzählte Initiation, die in die Kindheit unseres Helden zurückgeht und später sogar ein Wiedersehen mit dem verhassten Vater zur Folge hat. Rassismus, so eine durchaus bemerkenswerte Folgerung, ist eben nicht allein auf ein System wie das Regime beschränkt, sondern findet Zuspruch eben auch in kleineren Kreisen und Sozialräumen wie einer Familie. Daher teilen Blazkowicz und die Nazi-Tochter ein gemeinsames Schicksal. Sie beide wurden familienintern zu Opfern einer Autorität, die trotz der vermeintlichen Unterschiede zwischen Farmer und Regime-Generälin ähnlich agiert und einen gemeinsamen Kern teil.
So ist Wolfenstein 2 letztlich auch eine Geschichte über den Aufstand gegen elterliche Autorität, wie sie pervertierter nicht sein könnte. Weil dies über die gut 10-stündige Story gut gelingt, verzeiht man manch bizarres, in sich nicht ganz stimmiges Zitat, wenn sich beispielsweise eine hochschwangere Mitstreiterin (und B.J.s Geliebte) während eines Gefechtes die Klamotten vom Leib reißt, um mit blutbesudeltem Oberkörper auf dem Vater ihrer ungeborenen Kinder zu liegen. Born in blood? Lassen wir das einfach mal für sich stehen.
Was man aber sicher noch ein wenig vertiefen könnte, sind die zahlreichen weiteren Qualitäten des Titels, der jenseits seiner technisch wie inhaltlich gelungenen (Story-)Inszenierung mit wenigen Macken haushalten muss. Das vielleicht größte Manko gleich vorweg: Es fehlt an wirklich markanten Endbossen, wie sie der direkte Vorgänger durchaus zu bieten hatte. Selbst der letzte Fight serviert nur Schema „Zwei etwas größere Gegner zusammen mit vielen kleinen“ und versagt uns so das befriedigende Gefühl eines echten Gefechtes mit unserer bösen Antagonistin Engel.
Außerdem entschieden sich die Entwickler für ein trotz mehrerer Schwierigkeitsgrade recht hohes Grundniveau in Sachen Härte, sodass Wolfenstein 2 bereits auf den mittleren Graden manche Zocker frustrieren könnte (was auch an der leicht hakeligen Steuerung und der nicht immer ganz nachvollziehbaren Gegner-KI liegt). Richtig unfair wird es aber aufgrund fair gesetzter Checkpoints nicht und da sich der Schwierigkeitsgrad jederzeit verstellen lässt, kommt letztlich doch jeder Nazi-Jäger auf seine Action-Kosten. Nimmt man dann noch die nicht immer lippensynchrone Übersetzung auf die Mängelliste, ist diese eigentlich schon komplettiert und wir können uns den überwiegend positiven Aspekten zuwenden.
Technisch überzeugt das Gameplay mit seinen detaillierten Umgebungen, krachenden Soundeffekten, den stimmungsvollen Sprechern oder der flüssigen Bildrate auf ganzer Linie. Auch das Level-Design punktet trotz einiger Wiederholungen (Stichwort: der erste Level wird der letzte sein) mit viel Abwechslung, wobei sich Story und Shooting gut ergänzen. Schleichen ist dabei in den ausladenden, manchmal vielleicht sogar zu ausgerollten Arealen ebenso möglich wie schlichtes Vorpreschen, wobei B.J. natürlich kein schattenhafter Assassine a la Dishonored ist.
Auch bei der zunehmenden Zahl an Waffen inklusive möglicher Aufrüstung haben sich die Macher ein schickes Portfolio zurechtgelegt, das viele verschiedene Vorgehensweisen erlaubt. Selbst beim Thema Zusatzmissionen bietet Wolfenstein etwa mit seinen einzelnen Attentats-Jobs, die wir im Verlauf der Kampagne einsammeln und in denen es darum geht, einzelne Regime-Mitglieder in kleineren Arealen zu meucheln, genug Bonus, um nach dem Abspann länger an das Game zu fesseln. Multiplayer-Modi vermisst man daher kaum, sondern man freut sich vielmehr, dass mit diesem Shooter nochmal klargestellt wird, dass es eben nicht immer aufgesetzte Online-Funktionen braucht, um ein befriedigendes Gesamtergebnis abzuliefern.
Fazit
Spaßig und trotzdem durchdacht auf den Punkt! MachineGames erbringt mit Wolfenstein 2: The New Colossus den (endgültigen) Beweis dafür, dass Games schwierige Themen wie Rassismus und Faschismus innerhalb eines Spannungsfeldes aus Unterhaltung und Kritik verhandeln können, ohne sich damit lächerlich zu machen. Die Nazi-Jagd des B.J. Blazkowicz ist natürlich narrativ nicht der Weisheit letzter Schluss (wo findet man den überhaupt?), doch gerade im Umgang mit seinen überdrehten, dennoch sehr greifbaren bis glaubhaften Figuren macht das Game sehr viel richtig und zieht vor allem die motivisch wichtige Konsequenz, sein Grundthema nicht im Zuge einer simplen Shooter-Staffage dummdreist zu banalisieren.
Über den thematischen Tellerrand hinaus, ist Wolfenstein 2 als reine Kampagne aber auch so ein richtig guter Genretitel geworden, der mit feiner Technik, durchdachtem Gameplay, fordernden Gegnern und viel Abwechslung absolut überzeugt. Daher fordern wir klipp und klar: ein dritter Teil muss definitiv her!
Wolfenstein 2: The New Colossus • MachineGames/Bethesda • Ego-Shooter
Abb. © MachineGames/Bethesda
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