13. März 2017 2 Likes

Greatest Hits einer technokratischen Steinzeit?

„Horizon: Zero Dawn“ im Test

Lesezeit: 7 min.

Seit dem 1. März 2017 ist Guerrilla Games’ („Killzone“) neues, heiß erwartetes Action-Adventure/Rollenspiel im Handel erhältlich, exklusiv für Sonys Playstation 4. Aber ist der große Hype um das Dino-Roboter-Spiel gerechtfertigt, oder verbirgt sich dahinter nur eine Wundertüte ohne Inhalt?

Gleich zu Beginn des Spiels überschlagen einen Gefühle des Wiedererkennens, wenn man sich in den lebendigen Dschungeln, Steppen und Steinwüsten von „Horizon: Zero Dawns“ bewegt und Heldin Aloy von Vorsprung zu Vorsprung klettern lässt, oder mit dem Bogen einen gewaltigen Säbelzahn-Roboter, Sägezahn genannt, erlegt. Ein bisschen „Uncharted“, eine Prise „Tomb Raider“, ein großes Stück „Red Dead Redemption“: Diese und viele mehr sind die Spiele, an die man zunächst denken muss. Eine „Greatest Hits“-Sammlung sozusagen? Die niederländischen Entwickler von Guerrilla Games haben sich aber nicht bloß an den Vorbildern orientiert, sondern geben dem Spiel ihr eigenes Feeling. Aber dazu später mehr.

Zunächst schlüpft man in die Rolle der noch jungen Aloy, die gerade mit ihrem Ziehvater Rost zum ersten Mal auf die Jagd geht. Beide sind Exilanten der Nora, Ausgestoßene, die ohne den Schutz ihres Stammes in der Wildnis auskommen müssen. Wieso Aloy und Rost ausgestoßen sind, was mit Aloys Eltern ist und was überhaupt in der postapokalyptischen Welt von „Horizon“ passiert ist, das wird im Verlauf der Geschichte des Open-World-Titels geklärt. Der Einstieg dient, wie üblich, als behutsames Tutorial, denn das Jagen will wirklich erstmal erlernt werden. An der Hand Rosts wird der Spieler in die einzelnen Mechaniken eingeführt, sei es dem Erklimmen von Felswänden, der Nutzung des vielseitigen Bogens oder des leisen Anpirschens an die Beute. Der junge Rotschopf Aloy stürzt dann schnurstracks in eine verbotene Höhle, in der Überreste der „Alten“ zu finden sind, den früheren Bewohnern und Vorfahren der Erde, quasi die Überbleibsel unserer zukünftigen Zivilisation. Denn in der gesamten Welt „Horizons“ ragen an allen Ecken und Enden verwitterte Hochhäuser aus dem Gestrüpp, zahllose Mementos unserer Zeit, gepaart mit Bunkern voller technischen Geräten, Audiologs und gar holografischen Videoaufzeichnungen. Alle Dinge, neben den robotischen Feinden, lassen sich per Fokus scannen und analysieren. Beim sogenannten „Fokus“ handelt es sich um eine Art kleines dreieckiges Headset, das der Spieler mit Aloy in jener Ruine der „Alten“ findet und nicht mehr ablegt. Das Tutorial ist überaus atmosphärisch und trotz des großen Anteils an Exposition bleibt es stringent und spannend.

Den Großteil des Spiels verbringt man jedoch im Körper einer herangewachsenen Aloy, die in die wundervoll animierte Welt auszieht und nur erfahren will, woher sie eigentlich kommt. Dann heißt es Ressourcen in Form von Pflanzen und elektronischen Kleinteilen zu sammeln, Roboter-Tiere nach Schwachstellen zu scannen und diese dann mit selbst gebastelter Munition in Form von elektrischen Pfeilen, explosiven Kabeln und vielem Weiteren zur Strecke zu bringen. Gerade das Erkunden der atemberaubenden Welt, die sich mit sämtlichen Genregrößen wie „Witcher 3“, „GTA V“ oder „Metal Gear Solid V“ absolut messen kann, ist eines der großen Highlights. Die Lichteffekte sind atemberaubend, gerade wenn die Sonne auf oder untergeht und die üppigen Wälder und tiefen Canyons in rötlich-goldenes Licht eintaucht. Grafisch ist „Horizon: Zero Dawn“ eines der schönsten Spiele unserer Zeit, was sich noch um einiges steigert, wenn man das Spiel auf einer PS 4 Pro spielt und über einen HDR-fähigen (High Dynamic Range) Fernseher verfügt. Alles, was sich im weiten Blickfeld befindet, ist begeh- und erkletterbar, sei die Bergkette zunächst auf noch so weit entfernt. Auf dem Weg dorthin kreucht und fleucht aber so manche eiserne Bestie über den Weg. Von anmutend wirkenden Grasern, über die gewaltigen giraffenähnlichen Langhälse, bis hin zum erwähnten Sägezahn: Jeder Gegnertypus hat völlig eigene Schwachstellen, die alle gescannt und möglichst verinnerlicht werden müssen, denn auch noch so kleine Gegner können Aloy äußerst schnell den Garaus machen. Und spätestens, wenn man auf seinen ersten Donnerkiefer, dem „Horizon“-Pendant zum T-Rex, stößt, gilt es besser Vorsicht walten zu lassen und die Jagd gut vorzuplanen. Selbst dutzend Stunden im Spiel fortgeschritten können einem die kleinen Standardgegner, sogenannte Wächter, schnelle und wendige Dinobots, zum Verhängnis werden – auch wenn man sie mit einem gezielten Schuss in ihr glühend rotes Auge erlegen kann. So bleibt „Horizon“ bis zum Schluss fordernd, wird aber nie zu schwer oder zu einfach, selbst wenn man weiß wie gegen alle Gegner vorzugehen ist.

Um das Leben dann etwas zu vereinfachen, rüstet man Aloy mit unterschiedlichen Kleidungsstücken aus, die einen unentdeckt durchs Gras schleichen lassen oder mehr Schutz vor den Elementen geben. Denn gerade letzteres wird häufig zu einem Problem, da fast alle Roboter mit verschiedenen elementar-aufgeladenen Attacken aufwarten, wie Eis-Bomben oder elektrischen Blitzen. Menschliche Feinde hingegen neigen häufig zum Angreifen mit lästigen Feuerpfeilen, die Aloy in Brand stecken können – was aber auch umgekehrt funktioniert. Gerade die humanen Gegner sind dann aber doch etwas generisch ausgefallen. Hier und da finden sich auszuräumende Banditenlager, bewohnt von Menschen. Diese sind oft mit einem gut platzierten Kopfschuss erledigt und bei bedachtem Schleichvorgehen schnell aus dem Weg geräumt. Besonders mit den freischaltbaren Fähigkeiten wie der Konzentration, einem Bullet-Time-Effekt, der beim Zielen die Zeit verlangsamt, ist den Gegnern schnell das Licht ausgelöscht.

„Horizon: Zero Dawn“ bietet viele Möglichkeiten, schnell bis zum Levelmaximum von 50 aufzusteigen und alle Fähigkeiten zu erlernen. Diese Levelgrenze wird in den meisten Fällen lange vor Ende des Storybogens erreicht. Diverse Nebenquests laufen häufig nach einem Schema ab: Scanne eine Fährte, folge dieser, und erledige Person A/Wesen B. Der Fokus und das Scannen von Orten erinnert stark an den „Detective-Mode“ aus den „Batman: Arkham“-Spielen. Dank Dialograd, wie es in „Mass Effect“ und „Dragon Age“ vorhanden ist, lassen sich aber auch kleinere Entscheidungen treffen und Aloy Gnade oder Recht walten lassen beim Durchführen der Quests. Kleine Highlights sind aber die sogenannten Kessel. Diese sind versteckte Maschinenhorte, die mit gewaltigen Technologien aufwarten und an etwas aus der Spielfilmreihe „Matrix“ erinnern. Und natürlich bekommt man für jedes erlegte Biest einen Haufen an Erfahrungspunkten.

Äußerst bemerkenswert ist die Tatsache, dass jeder einzelne NPC in „Horizon“ ein gesondertes, eigenes Design besitzt und von unterschiedlichen Sprechern gesprochen wird. Davon können Rollenspiel-Giganten wie „Fallout“ oder „Skyrim“ nur träumen. Die Gesichtsanimationen sehen stellenweise sogar lebensecht aus, auch wenn das nicht immer auf alle zutrifft und auch die meisten der vielen Synchronsprecher geben sich viel Mühe beim Rezitieren ihrer Texte. Das einzige, das man „Horizon: Zero Dawn“ vorwerfen kann, ist etwas, das eine Erkrankung von Open World-Spielen generell zu sein scheint: Die Story nimmt etwas langsam Fahrt auf. Die Geschichte um das geheimnisumwobene „Zero Dawn“, Aloy, und dem Ursprung der Welt fällt unerwartet clever und äußerst spannend aus, wenn man mal den Abspann erreicht hat. Aber gerade zu Beginn, wenn der Spieler Stunden in der Wildnis verbringt und einen Stahltiger nach dem anderen zur Strecke bringt, verliert die Story erstmal  an Belang. Selbst ein Game wie „Metal Gear Solid V“, dessen Reihe als die Spitze der Erzählkunst und Wichtigkeit der Story gilt, unterlag diesem Problem des Open World-Viruses. Und manchmal wünscht man sich, dass nicht jeder AAA-Titel Open World sein muss, wie es zurzeit der Fall zu sein scheint. In der Struktur betrachtet sind aber nur die ersten vier der 21 Missionen der Hauptquestreihe Einführungen und dann geht es auch schon spannend zur Sache.

Gerade die Nebenfiguren, wie einer der Bösewichte, Helis, oder der enigmatische Sylens, der im Englischen von charismatischen Lance Reddick („The Wire“) gesprochen wird, sind fantastisch ausgearbeitete Figuren – wenn man denn einmal auf die zahllosen Audiologs stößt, welche die Figuren näher beleuchten. Sonst könnten sie hier und da etwas platt wirken, was gerade im Fall von Helis zutrifft. Diese große Disparität zwischen Gezeigtem und zu Entdeckendem ist etwas überraschend, weil sie so gravierend unterschiedlich ausfällt. Erneut etwas, das man dem Open World-Konzept zuzuschreiben hat, das den Spieler eben nicht an der Hand führt und dann oft nur schwerlich auf Dauer „cinematisch“-erzählerisch wirken kann.

Und ist dieses zunächst vielleicht zusammengesteckte Mosaik genannt „Horizon: Zero Dawn“ nun ein Must-Have-Titel für Playstation 4-Besitzer? Ist er! Unbedingt! Denn wenn man Guerrilla Games eins lassen muss, dann, dass es die Frauen und Mannen geschafft haben, sich die besten Einzelteile und Spielmechaniken aus anderen Titeln herauszunehmen, aber daraus ein völlig in sich stimmiges Spielerlebnis zu schaffen mit eigener Identität und einer gewaltigen Portion Herz. Nachdem der Abspann lief, bemerkt man erst, wie sehr man mit dieser Welt verwachsen ist und ebenso wie Aloy, schleichend durch die Gräser, unerwartet in die „Falle“ getappt ist und nicht mehr davon los kommt. Das Spiel weiß keine Minute zu langweilen. Und das ist eine beachtliche Leistung bei einer Gesamtspielzeit von 50-60 Stunden.

„Horizon: Zero Dawn“ ist ein Exklusivtitel, um den Playstation zu beneiden ist! Wer die Konsole sein Eigen nennt, sollte keine Sekunde zögern, auf Roboter-Pirsch zu gehen.

Horizon: Zero Dawn • Guerrila Games • RPG-Action-Adventure

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