25. Oktober 2019

Heads up!

Wenn’s mal wieder härter wird: Die Fortsetzung des Action-RPGs „The Surge“ gerät zum Fest für gestählte Gamepad-Dystopiker.

Lesezeit: 6 min.

Manche Spiele bringen selbst erfahrene Tester an ungeahnte Grenzen. Da startet man ein Action-RPG wie The Surge 2 (seit Ende September für PS4, Xbox One und PC erhältlich), dessen Vorgänger bereits den Ruf genoss, fast in einer Härtegradliga mit Dark Souls oder Bloodborne zu spielen, und wundert sich dann mit Blick auf die weit fortgeschrittene Nachtzeit, dass man es selbst nach stundenlangen Versuchen noch nicht mal geschafft hat, endlich am ersten Boss aus dem Einstiegslevel vorbeizukommen. Doch irgendwas macht die Fortsetzung des postapokalyptischen Schnetzlers so gut, dass man nicht entnervt aufgibt, sondern vielmehr versucht, aus Fehlern zu lernen, Gegner genauer auszukucken und so kleine Erfolge zu feiern, ehe man eine Woche später – trotz weiterhin zahlreicher Bildschirmtode – wie ein abgeklärter Krieger einen Widersacher nach dem anderen filetiert.

Das ist übrigens wie schon bei Teil 1 wörtlich zu nehmen, denn eines der Kernelemente der Kampfmechanik besteht darin, Feinden gezielt Kopf, Arme oder sonstige Körperteile abzutrennen, um an Waffen oder Ausrüstungsblaupausen zu kommen, die man dann dem eigenen Arsenal zufügen kann. Aber alles der Reihe nach. Storytechnisch knüpfen die Entwickler von Deck 13 an das Ende des bereits gelungenen Erstlings an. Darin entfesselte ein Technologiekonzern namens CREO in den eigenen Firmenhallen eine Katastrophe, deren Folgen Mitarbeiter dazu brachte, sich gegenseitig abzuschlachten und sich mittels einverleibter Maschinenteile in tödliche Mischungen aus Mensch und Cyborg zu verwandeln.

Diesem Wahnsinn musste sich seinerzeit CREO-Neuling Warren stellen, der nun allerdings nur noch als Randfigur und Sidequest-Geber mit an Bord ist, während wir mit einer neuen Figur erneut in den Kampf „jeder gegen fast jeden“ eintreten. Der hat sich nun allerdings sogar auf die Stadt Jericho City ausgebreitet, die im Gegensatz zu den vergleichsweise limitierten und grafisch flauen Gebieten des CREO-Firmenkomplexes ein durchwegs größeres und abwechslungsreicheres Setting für Teil 2 darstellt. Die Stadt ist in mehrere Areale wie den völlig zerstörten Stadtkern, den Hafen, einen Park inklusive Forschungsanlage oder das militärische Sperrgebiet unterteilt, wobei in jedem Gebiet mindestens eine jederzeit begehbare Speicherstation dafür sorgt, dass unsere frisch in Kämpfen erbeutete Tech-Währung zum Kauf von Ausrüstung oder der Weiterentwicklung unserer Skills nach dem Ableben gut aufgehoben sind.

Nach einer für den Rest des Spiels nicht unbedingt repräsentativen Eingangssequenz (inklusive leicht philosophischem Unterbau) an deren Ende unser via Editor komplett selbst erstellter Held (oder Heldin) mit einem Flugzeug abstürzt und einige Monate danach in einem Gefängnishospital erwacht, switcht das Geschehen sofort in den beinharten Action-Modus. Mit der erstbesten Waffe in der Hand müssen wir aus dem Gefangenenlager ausbrechen und uns dabei gegen das Wachpersonal als auch aggressive Häftlinge die ersten Fähigkeiten aneignen. Punktgenaues Blocken und Ausweichen zählen dabei ebenso zur ersten Garde wie das exakte Anvisieren der Gegner (und ihrer jeweiligen Körperteile). Neben der zu Beginn sehr spärlichen Lebensleiste zeigt uns eine weitere Anzeige unsere Ausdauer an, die wir für jede Kampfaktion benötigen. Wer es etwa mit wildem Buttongedrücke übertreibt, steht plötzlich mehrere Sekunden wehrlos da, bis sich die Anzeige automatisch aufgefüllt hat und man wieder handlungsmächtig ist.

Ein besonderer Clou ist den Machern mit der dritten Leiste gelungen, die unsere Energie anzeigt. Haben wir mithilfe erfolgreicher Angriffskombos diese gefüllt, stehen uns auslösbare Injektionen zur Verfügung, sodass wir nicht auf Heilitems oder ähnliche aus Spielen bekannte Hilfen angewiesen sind. Geschicktes Agieren bedeutet also quasi unendliche Lebensenergie, wobei diese taktische Komponente auch dank speicherbarer Injektionstanks speziell bei den Schlachten gegen die zunächst übermächtigen Endbosse zur absolut dringenden Lebensversicherung avanciert.

Die Steuerung geht bei alldem exzellent von der Hand und auch wenn man häufig den Löffel abgibt, ist dies aufgrund nachvollziehbarer Gegnerstrategien immer nachvollziehbar. Man fühlt sich positiv herausgefordert und vom Setting zusätzlich motiviert – zumal es überall versteckte Extras, zusätzliche Bosse und überraschend viele Schleichpfade zu entdecken gibt, die den Erkunder in uns auch dank der Vielzahl an optionalen Sidequests kaum zur Ruhe kommen lassen.

Nach und nach wird klar, dass das Überleben unseres stummen wie namenlosen Avatars eng mit einer jungen Mitpassagierin verknüpft ist, die nun in der Hand des Militärs gefangen gehalten wird und an der grausame Experimente verübt werden. Dass das Mädchen offenbar der Ausweg aus der Krise sein könnte und wir folglich alles daransetzen müssen, sie zu retten, markiert das zugegebenermaßen eher seicht vorhersehbare und nicht sonderlich gut ausstaffierte Erzählgerüst. Der Plot erfüllt jedoch seinen Zweck und bildet die Klammer für eine einerseits ungemein beklemmend inszenierte Dystopie, bei der andererseits das sehr motivierende Fighting-Gameplay als eindeutiges Salz in der Cyborgsuppe fungiert.

Ersteres zeigt sich trotz eher mauer Grafik in der Konsequenz, mit der die Welt von The Surge 2 gezeichnet wird. Solidarität oder Mitmenschlichkeit sucht man hier wie Wasser in der Wüste und an jeder Ecke droht buchstäblich Heimtücke, Verrat und der Tod. Passend dazu sind wir davon allerdings nicht ausgenommen. Ohne Jagd nach Rüstungsteilen und Tech-Währung, steht es um unser Fortkommen bei sukzessiv härteren Feinden schlecht und so sind wir trotz vieler Samariter-Aufträge darauf angewiesen, Härte zu zeigen und unseren eigenen Vorteil (etwa in den Dialogen) im Auge zu behalten. Ob Plünderer in der giftverseuchten Kanalisation, religiöse Fanatiker mit Weltuntergangsfantasien oder dekadentes Yuppie-Volk mit Champagnerparty: Jericho City hat Irres zu bieten.

So begegnen wir Charakteren, die uns beispielsweise um die Beschaffung von Fleischdelikatessen bitten, nur damit wir auf grausige Art dahinterkommen, dass es sich dabei um frisch seziertes Menschenfleisch handelt. Das bedeutet allerdings nicht, dass es sich Deck 13 nicht nehmen ließ, einige grotesk spaßige Aufheller einzubauen, die dem bitterbösen Geschehen stellenweise eine ironische Note hinzufügen. Wenn man etwa einem fiependen Robo-Gärtner bei der Bepflanzung des Gartens hilft oder poppige Graffitis für eine Untergrundbewegung an die Fassaden sprayt, ist dezentes Schmunzeln erlaubt.

All das wird fast ausnahmslos ohne aufwändige Cutscenes und in schlichter Ingame-Grafik präsentiert. Nachladenden Texturen, viel Unschärfe und völlig leblosen Gesichtsanimationen stehen zahlreiche professionelle Sprecher (u.a. Daniel Craig-Stimme Dietmar Wunder) und die detaillierten wie drastischen Kampfbewegungen auf technischer Seite gegenüber. Die nachjustierbare Kamera macht in engeren Arealen manchmal Zicken, doch wirklich stören wird das nur Technikpuristen.

Auch die freuen sich über die vielen Varianten an Waffen, Rüstungen, Implantaten und Drohnen, die sich trotz einer über die – je nach Können – gut 20-30 Spielstunden ansammelnden Itemflut im Inventarsystem stringent kombinieren und mit dem richtigen Material recht simpel weiterentwickeln lassen. Soviel Freiheit, ohne totalen Verlust der Übersicht, verdient ein Sonderlob. Je nach Gegnertyp, greifen wir zu schnelleren oder wuchtigeren Waffen und üble Statusangriffe sind mit der richtigen Auswahl ein weit geringeres Problem. Ist ein Gegner oder Areal mal wirklich zu schwer, können wir unseren Kämpfer auch aufleveln (Gegner-Respawn sei Dank), obgleich man selbst mit höheren Werten nie ganz sicher sein kann, schon bei der nächsten Unachtsamkeit zu Schrott verarbeitet zu werden. Gerade deshalb bleibt The Surge 2 hochspannend bis zum Schluss.

Leider muss sich der Titel noch an zwei Baustellen leichte Abzüge gefallen lassen. Obwohl es an fordernden Bossgegnern wie einem riesigen Krakenroboter, einem gepanzerten Mech oder einem kristallartigen Riesenungeheuer eigentlich nicht mangelt, sind die genannten eigentlich schon die markantesten Vertreter ihrer Zunft. Mehrfach wird man mit Varianten normaler Gegner abgespeist und die Inszenierung der eigentlich als Highlights formierenden Bosse bleibt häufig auf Standardniveau. Da wäre definitiv mehr drin gewesen!

Letzter Kritikpunkt bezieht sich auf die nicht immer klar erkennbare Pfadführung der Story. Uns steht zur Orientierung ausschließlich eine an bestimmten Punkten in der Stadt (oder im nicht zu langen Ladebildschirm zwischen den Gebieten) sichtbare Karte zur Verfügung, die sehr abstrahiert ausfällt und somit nur Grundrichtungen vermittelt. Das hat ein oftmaliges Herumirren nach dem konkreten Weg zur Folge, was leider auch in späteren Arealen unnötigen Ärger provozieren kann. Doch all das sind letztlich verschmerzbare Aspekte innerhalb eines in sich konsequenten, gut ausbalancierten Action-RPGs, welches nicht nur für Fans des Vorgängers jede vergossene Schweißperle nach aufreibenden Gefechten absolut wert ist.

Fazit

In jeder Hinsicht beinharte Sci-Fi-Dystopie, die gerade ihre technischen Mängel mit viel Atmosphäre, tollem Kampfsystem und überraschend vielen (Sidequest-)Entdeckungen locker ausbügelt.

The Surge 2 • Deck 13/Focus Home Interactive • Action-RPG • PS4/Xbox One/PC

Abb. © Deck 13/Focus Home Interactive

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