22. Oktober 2018 3 Likes

Jetzt sogar mit noch mehr RPG!

Ubisoft legt mit „Assassin´s Creed Odyssey“ wie gewohnt ein echtes Open World-Spektakel vor

Lesezeit: 6 min.

Kleingeistigkeit oder zumindest den Vorwurf, nicht groß genug zu denken, konnte man der Assassin´s Creed ja noch nie machen. Trotz des ewigen Genörgels an der für Ubisoft-Games typischen Abarbeiterei kleinteiliger Side- und Sammelquest, die oft nach zig Stunden aufgrund ihrer Redundanz wie reine Spielzeitstreckung daherkommen, mangelte es den mittelweile zig Haupt- und Nebenablegern nie an inszenatorischer Opulenz und spielerischer Langzeitunterhaltung im Blockbuster-Gewand. Das ist natürlich auch bei Odyssey der Fall, das bereits knapp ein Jahr nach dem letzten Teil Origins nun schon seit Anfang Oktober in den Läden steht und Besitzer von PS4, Xbox One und PC mal wieder um den Schlaf respektive Urlaub bringt.

Der geringe Abstand zwischen den Episoden erweist sich im Test alles andere als nachteilig, denn Ubisoft hat strategisch clever nahezu komplett auf den Stärken von Origins aufgesetzt und diese vor allem mit einer für die Reihe geradezu innovativen RPG-Komponente und kleineren Upgrades weiterentwickelt. Um es also gleich auf den Punkt zu bringen: Wer schon Origins zu seinen AC-Lieblingstiteln zählte, wird mit dessen Nachfolger mindestens genauso glücklich werden und sich dank vieler Parallelen bei Menüstrukturen, Kampfmechaniken oder der Inszenierung der Spielwelt ganz wie zuhause fühlen.

In Odyssey verschlägt es uns noch vor die Ereignisse des Vorgängers ins antike Hellas, wo 431 vor Christus der Peloponnesische Krieg zwischen Athenern und Spartanern tobt. Wir schlüpfen in die Rolle eines Söldners, der zwar eigentlich Spartaner ist, sich jedoch qua Beruf zunächst keiner Seite unbedingt verpflichtet fühlt und je nach Bezahlung die eine oder andere Fraktion unterstützt. Aus dieser variablen Konstellation zieht Odyssey über die gesamte Spielzeit ähnlich viel Spannung wie aus der vielleicht wichtigsten Neuerung des Titels, nämlich der Wahl zwischen einem männlichen oder weiblichen Protagonisten. Die tragen die Namen Alexios und Kassandra und erleben als bereits im Kindesalter getrennte Geschwister zwar grundsätzlich die gleiche Hauptstory, jedoch verändern sich sowohl die Dialoge als auch spannende Situationen wie etwa die Wahl, in bester Bioware-Manier intimere Beziehungen mit anderen Figuren einzugehen oder missionsverändernde Entscheidungen mit durchaus handfesten Konsequenzen zu treffen.

Beide Helden lassen sich dank üppiger Skilltrees und eroberter Erfahrungspunkte mit zahlreichen Fähigkeiten ausstatten und an der Waffen- und Itemfront bietet Odyssey genug Auswahl, um jeden bevorzugten Spielstil zwischen Offensive oder Defensive adäquat zu unterstützen. Insgesamt geht es in der stark verästelten Story um typische Motive wie Macht, Verrat und Rache, sodass das Storytelling zwar solide die verschiedenen Areale und Mechaniken zwischen Stealth, Kampf und Erkundung verknüpft, allerdings trotz einiger dramatisch krachender Highlights nicht wirklich über den bisherigen Serienstandard hinauskommt.

Wie bei jedem guten Assassin´s Creed gibt es viel zu entdecken und zu bereisen. Die Map, die sich über mehrere Großgebiete erstreckt, bewegt sich sogar auf einem höheren Umfanglevel als das bereits schon extrem weitläufige Ägypten in Origins und entführt uns mit grandioser Fernsicht und vielen Details bei genauerer Betrachtung in beeindruckend lebendige Städte, sonnige Pinienwälder, mediterrane Strände, kleinere wie größere Inseln und erhaben anmutende Gebirgszüge, die sich alle wie gewohnt nach Schätzen, Aufgaben und Gegnern absuchen lassen. Zwar hat die Engine unter dieser Grafiklast mit gerne mal sichtbar nachladenden Texturen und leichten Unschärfen zu kämpfen, allerdings überwiegt gerade mit Blick auf die vielen feinen Effekte (Licht!) und die schiere Masse absolut der positive Gesamteindruck. Die Vertonung sorgt ebenfalls für viel Atmosphäre und bewegt sich trotz einiger eher monotoner Sprecher auf gutem Niveau.

Richtig stimmungsvoll fallen die erneut vielen historischen Verweise und zeitgenössischen Charaktere aus, die schon für sich zum stundenlangen Flanieren einladen. Speziell die Gespräche mit dem Philosophen Sokrates oder die witzigen Begegnungen mit Casanova Alkibiades prägen sich angenehm ein und lockern das zeit- wie wegintensive Durchstreifen der Spielwelt mit ihren locker 60 Spielstunden angenehm auf. Ansonsten heißt es auch diesmal wieder, feindliche Lager zu infiltrieren, gegen besonders harte Kopfgeldjäger anzutreten, mittels erhöhter Punkte die Karte zu synchronisieren, Verstecke zu untersuchen und massenweise Gegner zu meucheln – diesmal sogar erstmal regelmäßig in gewaltigen Massenschlachten, die für besondere Dramatik sorgen.

Wer sich bisher fragt, was eigentlich aus der Rahmenhandlungen oder der genetischen Gedächtnismaschine Animus geworden ist, die ja innerhalb der Reihe nicht nur das storymittragende Sci-Fi-Element markierten: Pikanterweise spielt Odyssey noch vor der Gründung des Assassinen-Ordens, dennoch müssen sich Kenner der Reihe eigentlich gar nicht umstellen und Animus oder Sprünge in die Gegenwart/Zukunft kommen kaum vor. Eine im Grunde etwas merkwürdige, das Geschehen unnötig verengende Designentscheidung, obwohl sich die Macher immerhin bemühten, mittels futuristischer Steinhallen (Origins lässt auch hier grüßen) und weiterer eingestreuter Hinweise auf einen mysteriösen Geheimbund kleinere Bögen zur Metastory der Reihe zu schlagen. Davon doch in Zukunft bitte wieder mehr.

Zu den positiven Neuerungen speziell des RPG-Ansatzes gehört hingegen das Dialogsystem, das uns nun tatsächlich die Freiheit an die Hand gibt, aus mehreren Optionen zu wählen und so den Verlauf der Gespräche zu manipulieren. Zwar ändert sich – wie angedeutet – nichts an der Hauptstory, über so manchen Tod bzw. Weiterleben entscheidet man allerdings dann doch. Daher: Ein guter nächster Schritt in der Entwicklung der Reihe, der in zukünftigen Teilen unbedingt weiterverfolgt werden sollte.

Viele Fans gerade der seit Black Flag beliebten Seeschlachten dürfen sich auf deren (vollständige) Rückkehr freuen. Nach einiger Zeit steht uns ein Schiff zur Verfügung, das wir mit erbeuteten (oder erkauften!) Rohstoffen ausbauen und sogar mit rekrutierten Feinden zur Verstärkung der Besatzung bevölkern dürfen. Die Schlachten spielen sich angenehm abwechslungsreich im Vergleich zu den direkteren Schwert- oder Bogenduellen zu Lande, erreichen aber aufgrund ihres schon technisch geringeren Materials bei den Waffen nicht ganz die Komplexität der Piratenduelle aus Black Flag. Wobei man hinzufügen sollte, dass der Fokus auf hoher See mehr auf der Entdeckung unbekannter Inseln liegt als auf der Eroberung feindlicher Schiffe.

Das bereits seit dem Vorgänger deutlich flüssigere und endlich richtig elegant spielbare Kampfsystem wurde noch weiter dynamisiert. Spieler müssen sich in Sachen Defensive leicht umstellen, denn auf Schilde wurde nun verzichtet, sodass flinkes Ausweichen Pflicht ist. Mittels variabel modifizierbarer Waffen und schneller Wechsel macht das Ganze sehr viel Spaß und man mag sich kaum vorstellen, wie es in früheren Teilen war, als man Attacken noch träge parieren musste.

Ein Knackpunkt stellt dabei hingegen das Levelsystem dar, das sich nun unserem jeweiligen Stärkestatus anpasst. D.h. Gegnerlevel bei Haupt- wie Nebenmissionen passen sich unserer aktuellen Stärke an und es ist daher beispielsweise nur bei entsprechender Stufe möglich, Gegner mit mindestens gleicher Stufe ganz wie ein echter Assassine von hinten zu ermorden, ohne sich in ausufernde Massengefechte gegen heranstürmende Wachen zu verzetteln. Das kann schon mal zu Frust führen, verhindert allerdings eine zu schnelle Übermacht der eigenen Figur und zwingt zu mehr strategischem Geschick.

Fazit

Das neue Assassin´s Creed als radikal neu zu bezeichnen, wäre sicher eine gehörige Übertreibung. Odyssey (erhältlich für PS4, Xbox One und PC) baut vielmehr auf all das, was bereits das letzte Abenteuer Origins ausgezeichnet hat und setzt mit einer behutsamen Öffnung hin zu mehr Rollenspiel-Elementen eine rundum angenehme erste Duftmarke für weitere Ableger. Das Spielgefühl stimmt bei allen Facetten des wie gewohnt epischen Erlebnisses und Neuerungen wie die Dialoge, das etwas flinkere Kampfsystem oder die implementierten Massenschlachten geben dem ohnehin sehr unterhaltsamen Kern weitere Würze.

Technisch mag die Engine manchmal vor der schieren Opulenz des Präsentierten ein wenig in die Knie gehen, doch das ist bei einer so vielfältigen und letztlich einfach nur beeindruckend inszenierten Open World wie hier einfach nicht wirklich relevant. Figuren wie Story unterhalten ebenfalls auf insgesamt überdurchschnittlichem Niveau, sodass man Odyssey im Grunde leicht auf folgenden Punkt bringen kann: Wer auch nur ansatzweise mit AC etwas anfangen kann, sollte unbedingt zugreifen; die ewigen Kritiker der Ubisoft-Formel spielen eben was anderes.

Assassin’s Creed Odyssey • Ubisoft • Open World/Action-Adventure

Abb. © Ubisoft

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