„Marvel‘s Spider-Man: Miles Morales“: Aus größerer Kraft folgt größere Verantwortung
Eine grandiose Eröffnungssalve für die PS5 mit leichter Schwäche
Mit „Marvel‘s Spider-Man“ gab eines der besten Spiele der letzten Jahre das Exklusivdebüt auf Sonys PlayStation 4. Nebenbei war es ein Hitgarant für die Konsole und gleich das beste Netzschwinger-Game seit etlichen Jahren. Bombastisch, filmreif und unerwartet gefühlvoll war die Geschichte um einen abgeklärteren Peter Parker inszeniert, der in seinem Unterfangen von Mary Jane und dem neu eingeführten Miles Morales unterstützt wurde. Letzterer ist Comicautor Brian Michael Bendis‘ Kopf entsprungen und zeichnet sich aktuell popkulturell als der jüngere, afroamerikanisch-puerto-ricanische Spider-Man aus, den die meisten vermutlich in Sonys hervorragendem Animationsfilm „Spider-Man: A New Universe“ lieben lernten. Nun feiert Miles im namensgebenden „Marvel‘s Spider-Man: Miles Morales“ sein erstes eigenständiges Videogame, exklusiv für PS4 und PS5.
Das Spiel setzt wenige Wochen nach dem Ende der DLC-Reihe „Die Stadt die niemals schläft“ ein und verfrachtet den Spieler in Miles‘ Haut, der sich noch an seine Rolle als Spider-Jüngling und Peters Mentorenaufsicht gewöhnen muss. Nach einem kurzen Geplänkel verkündet Peter, dass er über die Weihnachtsfeiertage die Staaten verlässt und mit Mary Jane den Urlaub verbringt – und überlässt New York City somit dem in Harlem aufwachsenem Miles. Der kann sein Glück noch nicht fassen, ist zeitgleich aber noch etwas überwältigt und verängstigt von der Verantwortung, die ihm da überlassen wird. Und natürlich gerät Miles bereits nach kürzester Zeit zwischen die Fronten des Energiekonzerns Roxxon und dem technisierten „Underground“-Widerstand, während Miles‘ Mutter Rio zur Wahl der Stadträtin antritt und Phin im Schlepptau hat, Miles‘ beste Freundin aus Kindheitstagen.
Die Story um den machthungrigen Konzern Roxxon, und die damit einhergehenden Schurken Tinkerer, Rhino und Prowler spielt sich gewohnt cineastisch ab, hat einige kleinen Überraschungen parat und trumpft besonders im Finale auf, erreicht aber nicht den enormen Bombast des Erstlings. Trotz allem schafft es „Marvel’s Spider-Man: Miles Morales“ eben diesen zu einer deutlich runderen Figur auszuarbeiten, der im Hauptspiel noch von etwas blasser Natur war. Auch der Tinkerer ist am Ende des Liedes nicht nur ein farbenfroher, klassischer Spidey-Bösewicht, sondern auch ein Spiegelbild von Miles, an dem er wachsen kann.

Spielerisch ergänzt „Miles Morales“ das äußerst abwechslungsreiche Kampf- und Openworld-Geschehen von „Marvel’s Spider-Man“ um einige Facetten, während andere wegfallen. Das fabelhafte und äußerst spaßige Grundgerüstbleibt unangetastet, reduziert aber das Fett in Form von Peters vielen Gadgets. Während Peter im Hauptspiel noch mit acht verschiedenen, aufwertbaren Gizmos spielen konnte und auch noch etliche Skills über die freischaltbaren Anzüge zur Verfügung hatte, muss sich Miles mit nur 4 Gadgets begnügen, die das Deck jedoch neu mischen. Neben den Netzdüsen kann Miles noch eine Holodrohne steuern, die Gegner ablenkt, ferngezündete Minen abfeuern sowie die Gravity Well ins Spiel bringen, die Fieslinge in ein anziehendes Zentrum saugt und kurz lahmlegt. Dafür spielt sich Miles jedoch ungemein versatiler als es Peter je tat, denn Miles‘ auch aus den Comics und dem Animationsfilm bekannten Venom-Schock- sowie Unsichtbarkeitskräfte schalten im Spiel nach und nach weitere Skills und Combo-Möglichkeiten frei. Dabei sind Miles Venomblast, -jump und -dash alles andere als eine letzte Instanz, sondern sollten so häufig wie möglich gebraucht werden. Die Venomkräfte laden sich durch kräftiges Austeilen schnell auf und lassen sich dann per Schultertaste und farbigen Buttons des PS-Controllers auslösen, und helfen besonders bei Bosskämpfen und großen Gegnerhorden dabei, aufzuräumen.

Entwickler Insomniac Games legte mit „Marvel’s Spider-Man“ einen großartigen Netzkopftitel vor, der eigentlich nur von den vielen belanglosen Nebenquests und den wenigen wirklichen Schurken-Galerie-Bosskämpfen von wahrer Brillanz abgehalten wurde. Mit der größeren Kraft, die Insomniac in den vergangenen zwei Jahren sammelte und der PS5 im Schlepptau, folgt sogleich auch die größere Verantwortung aus den vorangegangenen Fehlern – wenngleich auf hohem Niveau – zu lernen. Aber hier enttäuscht „Miles Morales“ mit dem einzigen Minus, das man dem Spiel anheften kann: Die Nebenquests schicken Miles tatsächlich ERNEUT auf schnöde, nervenzermürbende Taubenjagd oder zur Katzenrettung. Spider-Man bietet eine Hülle und Fülle an ikonischen Schurken wie es kein zweiter Held Marvels oder der Distinguished Competition tut, und dennoch wird davon kaum Gebrauch gemacht. Selbst der in „Marvel’s Spider-Man“ bereits abgefrühstückte Rhino feiert hier sein unerwünschtes Comeback, mit einem leicht angepassten Bosskampf.

Jeder, der „Marvel’s Spider-Man“ liebte, kann und sollte gedankenlos zu „Miles Morales“ greifen, das selbst auf der PS4 einen unglaublich schicken Eindruck macht und mit angepassten, schnelleren Ladezeiten daherkommt. Die bis zu 10-stündige Kampagne und die mindestens doppelt so lange beschäftigenden Nebenquests und Challenges versprühen dennoch den unnachahmlichen Charme Spideys und liefern gute Hausmannskost auf höchstem Niveau – bis es Zeit wird für „Marvel’s Spider-Man 2“.
„Marvel’s Spider-Man“ ist seit dem 19. November 2020 exklusiv für Sonys Playstation 4 und Playstation 5 erhältlich.
Marvel’s Spider-Man: Miles Morales • Insomniac Games • Third-Person Adventure
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