Mystery in Good Old Tschörmany
Das Point&Click-Adventure „Trüberbrook“ hinterlässt trotz Hommage an „Twin Peaks“ und Co. leider einen zwiespältigen Eindruck
Böse Einstiegsfrage: Was haben Trüberbrook und Dorothee Bärs Gummikleid-Auftritt beim Deutschen Computerspielpreis 2019 gemeinsam? Beide kaschieren ihre Inhalte leider hauptsächlich mit ihrem jeweiligen Stil, wobei es bei Trüberbrook – ohne der Staatsministerin für Digitales an dieser Stelle zu nahe treten zu wollen – einfacher gewesen wäre, auch andere Qualitäten besser hervorzuheben. Denn dem Gewinner in der Kategorie bestes deutsches Spiel fehlt es trotz seiner optischen Stärken und einem klasse angedachten Setting leider gerade erzählerisch an Facettenreichtum, um sich selbst innerhalb des oft als eher beschaulich bezeichneten Point&Click-Genres langfristig hervorzutun.
Das ist umso bedauerlicher, als dass der von btf (also die Produktionsfirma, die hinter Jan Böhmermanns Neo Magazin Royale steckt) produzierte Titel, der schon vorab auf PC erschien ehe Mitte April die Versionen für PS4, Xbox One und Switch folgten eigentlich beste Voraussetzungen liefert, um genau das zu erreichen. Schließlich gab es zuletzt kaum ein Adventure, das so voller markanter Referenzen auf Sci-Fi-Größen a la Twin Peaks, Blade Runner oder Akte X war und einem visuell wunderschönen wie in sich stimmigen Konzept folgte.
In der Rolle des unbedarften amerikanischen Physikers Hans Tannhauser verschlägt es uns in das kleine Provinzstädtchen Trüberbrook in den 1960er Jahren. Tannhauser gewann eine Reise dorthin, obwohl er sich nicht an eine Teilnahme seinerseits erinnern kann (und es natürlich auch nicht tat). Trüberbrook verströmt schon bei seiner Ankunft einen heimatlich altmodischen, aber dezent freundlichen Charme mitsamt seiner alten Häuser und eines Sees eingerahmt von Gebirgszügen.
Da wollen die leicht angeschrullten Einwohner wie Hotel-Besitzerin Trude, ihre fernsehsüchtige Tochter Leni oder der alte Freiherr von Sülz nicht nachstehen, die allerdings im Verlauf der je nach Knobelleistung zwischen 6-8 Stunden langen Kampagne nur auf wenige Charaktereigenschaften beschränkt bleiben und selbst in den längeren Dialogpassagen nicht so recht über Statistenstatus hinauswachsen.
Schon in der ersten Nacht mopst ein Unbekannter wissenschaftliche Aufzeichnungen von Hans und setzt damit die Handlung erst so richtig in Gang. Mit einem sich etwas hakelig steuernden Hans und seinem lässigen 60er Mod-Outfit begeben wir uns auf die Suche nach dem Übeltäter und tun uns dabei mit der Anthropologin Gretchen zusammen, die (angeblich) nur zu Forschungszwecken in der Gegend ist.
Auf unserem Weg verschlägt es uns an Settings wie eine Bergbahn, verseuchten Sümpfen, eine Wetterstation, in ein Sanatorium (wo uns ein verrückter Psychiater – gesprochen von Jan Böhmermann – auf unser „Menschsein“ untersucht), eine Berghöhle oder ein geheimes Laboratorium inklusive sprechendem Computer (Hal aus Kubricks 2001 lässt herzlich grüßen), wodurch wir einem zunehmend mysteriösen, bis hin zur drohenden globalen Vernichtungen ausartenden Geheimnis auf die Spur kommen, das mit viel Physik und jeder Menge Irrsinn verquickt ist.
Die Settings sind urklassisch in einzelne Miniareale wie den Marktplatz oder Innenbereiche wie Tannhausers Hotelzimmer aufgeteilt, sodass jeder Aktionsbereich klar definiert ist. Mit einem simplen Tastendruck machen wir alle Hotspots sichtbar und klappern diese nach Informationen und Items ab. Zeitdruck oder andere Formen von Action gibt es nicht. Das Gameplay überlässt uns also unser eigenes Tempo und die meisten Bereiche können nach erstmaligem Besuch fast immer ohne langes Herumgelatsche angesteuert werden. Besonders praktisch: Im Gegensatz zu vielen früheren Genrekollegen entfällt jede umständliche Fummelei im Inventarmenü. Selbiges gilt für das Kombinieren, denn bei jedem Rätselgegenstand, an dem wir etwas verwenden müssen, erscheint automatisch das Item, das wir benötigen.
Puristen werden bemängeln, dass man so eigentlich nur geduldig jeden Hotspot im Trial&Error-Verfahren abklappern kann, um auch ohne viel Hirnschmalz weiterzukommen. Das stimmt zwar, doch nicht ganz so geübte Zocker kommen so ebenfalls ans Ziel und die Macher haben sich immerhin an einigen Stellen sichtbar Mühe gegeben, die über mehrere Stationen angelegten Rätselkombinationen bewusst verwirrend anzulegen. Man muss erstmal darauf kommen, einen Betäubungspfeil u.a. aus Käsespießen anzufertigen, um damit ein Tier von einem Baum zu schießen.
Aber auch hier haben sich die Zockerzeiten merklich geändert: Wer nicht unbedingt Zeit mit der Suche nach Lösungen verplempern will, sieht einfach online in einem Walkthrough nach – Puristen rümpfen da natürlich erneut nur mit der Nase. Eine echte Hilfefunktion im Spiel gibt es aber eben leider nicht. Dafür haben die Macher an einen Kindermodus gedacht, der jede Form von Tabakkonsum buchstäblich aus dem Spiel nimmt. Wer´s braucht.
So fällt das Gameplay angenehm zugänglich und nicht zu schwer aus, jedoch fehlt es sowohl den Knobeleinlagen als dem Erkunden der überschaubaren Spielwelt an Tiefe und Raffinesse, um uns länger zu fesseln. Zu selten stehen wir etwa vor einer Bücherwand mit witzigen Werken, in denen u.a. Kickstarter-Mitfinanzierer des Spiels gekonnt verewigt wurden oder führen mit Figuren wie dem Freiherrn von Sülz spaßige Dialoge über seine Katze Klaus (die eindeutig ein Fuchs ist). Kitschiger Saurierschwimmreifen am Tretbootstand, viel Physikbohei und Schaubuden am Stadtfest hin oder her: Es ist einfach zu wenig da, um Spieler richtig in die eher holprig erzählte Story mitsamt ihrem begrenzten Figurenarsenal hineinzuziehen und nach dem Abspann fällt einem beim besten Willen kein Grund ein, sich erneut nach Trüberbrook zu wagen.
Was hingegen wie bereits angesprochen primär ins Auge springt, ist die feine Optik. Statt auf die genretypische 2D- bzw. 2,5D-Grafik baut das Adventure auf handgemachte Miniatur-Modelle, deren Texturen mithilfe einer aufwändigen Photogrammmetrie auf 3D-Modelle projiziert wurden. Die Mischung aus Augsburger Puppenkiste, Sci-Fi und Heimatidyll verfängt vom ersten Bild und lässt uns bis zum Abspann kaum los.
Passend dazu bewegen sich die Charaktere wie Knetfiguren in Stop-Motion-Filmen à la Shaun das Schaf und unterstreichen somit das ungewöhnliche Flair, das ihnen leider in den Dialogen trotz guter Sprecher wie Hauptdarsteller Justin Beard, Jan Böhmermann, Schauspielerin Nora Tschirner und Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow fehlt. Wahlweise darf man das Ganze übrigens auf Deutsch oder Englisch genießen, wobei der deutsche Akzent in der englischen Version fast besser zum Mix aus Mystery, Crime und Satire passt als die deutsche Vertonung.
Insgesamt hinterlässt btfs Adventure gemischte Gefühle. Das Design sieht klasse aus, Story und Charaktere sind ganz nett und das Gameplay macht durchaus Spaß. Vor allem die vielen charmanten Verweise auf Twin Peaks laden immer wieder zum Schmunzeln ein. So bespricht Tannhauser etwa wie Agent Cooper aus Twin Peaks ein Aufnahmegerät für eine gewisse Beverly und der Storyverlauf hin zum Mystery-Thriller hat gute Ansätze, allerdings bleibt auch hier viel im Ansatz stecken.
Anders als Monkey Island oder Deponia erreicht Trüberbrook nie deren Humorniveau und so richtig spannend wird die Geschichte trotz kleinerer Schlusstwists auch nicht. Außerdem wird nie so recht klar, wieso das Geschehen unbedingt in einem Provinzkaff der 60er angesiedelt wurde. Dass das alles ausgerechnet bei einem Spiel der Neo Magazin Royale-Truppe zu bemängeln ist, die sich doch sonst stets durch ihren bissig zupackenden und äußerst hintersinnigen Humor auszeichnet, überrascht schon ein wenig.
Fazit
Kreativer, sehr stimmungsvoller Adventure-Mix, der leider figurativ wie erzählerisch hinter seinen Möglichkeiten bleibt, spielerisch nur gehobenes Mittelmaß serviert und so nicht komplett zünden will.
Trüberbrook • btf/Headup Games • Point&Click-Adventure
Abb. © btf/Headup Games
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