20. März 2019

Wahre Märchen

Der Episodenroman „Der Montag fängt am Samstag an“ von Arkadi und Boris Strugatzki

Lesezeit: 3 min.

Stellen Sie sich das Ministerium für Zauberei aus „Harry Potter“ vor, aber in der ehemaligen Sowjetunion und mit dem Auftrag, wahres Glück für alle zu finden: das ist das „Forschungsinstitut für Hexerei und Zauberkünste“ aus Arkadi und Boris Strugatzkis „Der Montag fängt am Samstag an“. Dorthin verschlägt es den jungen Programmierer Sascha Priwalow, als er auf einem Urlaub in den Norden Russlands in der Nähe der Stadt Solowetz zwei Anhalter mitnimmt, die sich als Mitarbeiter an diesem Institut erweisen und ihn prompt engagieren. Von da an begegnet Sascha jeden Tag dem Unmöglichen: die Abteilung für den Sinn des Lebens etwa leitet ein ehemaliger Großinquisitor, der obendrein ein ausgezeichneter Taxidermist ist. Einer von Priwalows Kollegen schickt Gerüchten zufolge sein Double zur Arbeit. In einem Brunnen lebt ein sprechender Hecht, der Wünsche erfüllt. Das Gästehaus des Instituts ist eine Hexenhütte auf Hühnerbeinen, komplett mit Hexe und einem sprechenden Kater. Und der Direktor des Instituts ist ein Zeitreisender.

„Der Montag fängt am Samstag an“ ist ein kurzweiliger Episodenroman, dessen Held von einer absurden Situation in die nächste gerät und dabei allerlei skurrilen Figuren begegnet. Kennt man ein paar Brocken Russisch, freut man sich an den sprechenden Namen wie Professor Wybegallo(was sich als „rausgelaufen“ übersetzen lässt) oder Bürokrat Kamnojedow, „Steinefresser“. Letzterer ist ganz offensichtlich der Archetyp eines faulen sowjetischen Verwaltungsbeamten, der mit dem Motto der Wissenschaftler, der Montag fange am Samstag an, weil die Wissenschaft nie ruhe, gar nichts anfangen kann, und so immer wieder die Forschungsarbeiten sabotiert. Wer obendrein ein paar russische Märchen gehört hat, kann viele der magischen Figuren und Gegenstände sofort identifizieren. „Der Montag fängt am Samstag an“ ist auf dieser Ebene eine spaßige, kurzweilige Lektüre.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Je tiefer man in die Geschichte der Sowjetunion eintaucht, je besser man sich mit dem akademischen Betrieb nicht nur zu dieser Zeit, sondern auch heute noch, auskennt, desto beißender wird die Satire. Professor Wybegallo etwa ist eine Parodie auf Trofim Lysenko, einem „Wissenschaftler“, der mit seiner falschen Theorie, der Mensch werde nicht von Genen, sondern von seiner Umwelt beeinflusst, Stalins Gunst errang und über Jahre hinweg jede Forschung zur Genetik in der UdSSR verhindert hat. Alle Wissenschaftler – Magier genannt – sind so auf ihr Fachgebiet spezialisiert, dass sie von allen anderen Bereichen der Wissenschaft und vom alltäglichen Leben keine Ahnung mehr haben. Diese Leute sollen ein Rezept finden, nach dem alle Menschen glücklich werden? Wohl kaum. Die „normalen Menschen“ verstehen umgekehrt auch die Wissenschaft nicht mehr, die ihnen wie Magie erscheint. Der Forschungsauftrag des Instituts spiegelt die Idee der Bolschewiken, dass man Gesellschaft und Wirtschaft nach logischen Gesichtspunkten planen und steuern könne. Gosplan, das Komitee für Wirtschaftsplanung, berechnete die zukünftigen Bedürfnisse der gesamten Sowjetunion und gab Quoten vor, die es zu erfüllen galt – mit manchmal absurden, oftmals aber verheerenden Folgen für die Bevölkerung. Von „Glück für alle“ war man 1965, als der Roman erstmals erschienen ist, weit entfernt. Nicht, dass sich daran heutzutage etwas geändert hätte …

 

Arkadi und Boris Strugatzki: Der Montag fängt am Samstag an • Roman • Aus dem Russischen von Helga Gutsche • Wilhelm Heyne Verlag, München 2019 • Taschenbuch • 400 Seiten • € 10,99 • im Shop • Dieser Roman ist auch in Arkadi und Boris Strugatzki: „Gesammelte Werke, Band 6“ (im Shop) enthalten

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.